Foto: Franz in Auseinandersetzung mit dem Tambourmajor. © Jochen Klenk
Text:Bettina Schulte, am 25. September 2023
Die Opernregisseurin Sandra Leupold inszeniert am Theater Baden-Baden Georg Büchners Dramenfragment „Woyzeck“ in der Fassung von Robert Wilson mit den Songs von Tom Waits und Kathleen Brenna.
Georg Büchners Dramenfragment „Woyzeck“ ist das Stück der Saison. In Baden-Württemberg liegt das schlicht auch daran, dass das Stück Thema beim nächsten Abitur sein wird. Zur Eröffnung der Spielzeit am kleinen Theater Baden-Baden hat sich die renommierte Opernregisseurin Sandra Leupold des Stoffs angenommen. Sie nutzt die berühmte Fassung von Robert Wilson mit den Songs von Tom Waits und seiner Frau Kathleen Brennan.
Das Ensemble vom Theater Baden-Baden spielen Büchners „Woyzeck“. Foto: Jochen Klenk
Zwei Welten sind das, hier die zerklüftete Sprache des genialen Dichters, da die melodiöse, sehr eingängige Musik des Singer-Songwriters. Wenn seine eigene Reibeisenstimme fehlt, kommt die Musik passagenweise geradezu lyrisch und romantisch daher. Trotzdem hat man bei Leupolds Inszenierung nicht das Gefühl, dass Text und Musik auseinanderfallen. Die Songs sind organisch in den Fortgang des Dramas um den Totschlag des Soldaten und Gelegenheitsarbeiters Franz Woyzeck an seiner Geliebten und Mutter seines Kindes Marie eingefügt. Einmal wird ein Mikrofon langsam von der Bühnendecke heruntergelassen, das Lion-Russell Baumanns schmächtiger Woyzeck anstarrt, als käme es von einem anderen Stern. In diesem Moment wird es Teil seiner Ängste und verstörenden Visionen von einer zweiten Wirklichkeit.
Bühne und Kostüme, Inhalt
Auf ein geschlossenes Bühnenbild hat die Regisseurin bewusst verzichtet. Dafür biete das Fragment mit seinen allesamt unbehausten Figuren keinen Anlass, so Leupold im Programmheft. In ihren historisierenden Kostümen (Bühne und Kostüme: Jochen Hochfeld) wirken sie vor einem roten Halbrund im Hintergrund und einer überdimensionierten roten Säule mitten im Raum wie aus der Zeit gefallen. Der spindeldürre Doktor (Max Ruhbaum) hetzt zwischen zwei rohen Holzgestellen mit grotesk vielen Urinflaschen und Erbsenbeuteln hin und her, hier passt tatsächlich nichts zueinander. Die Welt liegt in Stücken. Wenn sich Marie und Woyzeck treffen, um miteinander nicht reden zu können, rasselt eine Eisenwand herunter und trennt sie vom Rest des Geschehens. Und bevor Woyzeck zum Messer greift, verbirgt eine zweite heruntergelassene Wand die Tat. Was von ihr bleibt, sind die blutigen Hände des Täters, die er dem Publikum entgegenstreckt, bevor er im Nichts verschwindet.
Ausdruck durch Gesang
Die Songs von Tom Waits geben den Figuren eine Stimme, wo ihnen die Sprache versagt. Woyzecks ganze Sehnsucht und Liebe liegen offen zutage, wenn er Marie als „princess“, „rose“, „pearl“ und sogar als „wild blue sky“ besingt. Die ganze testosterongeschwängerte Schmierigkeit des Tambourmajors lebt Carl Herten in „Another Man’s Vine“ aus. Und Maries Zerrissenheit zwischen Begehren und Schuld kann Lisa Schwarzer musikalisch zwischen „Everything Goes To Hell“ „Lullaby“ und „A Good Man Is Hard To Find“ ausagieren.
Man hört sie gern, diese Lieder, sie sind eingängig und schlicht schön – auch wenn ihre Botschaft meist finster ist. Allerdings ziehen sie Büchners Stück auch den gesellschaftskritischen Zahn. Der Eingangssong, der in Baden-Baden am Ende wiederholt wird, behauptet: „Misery Is The River Of The World“. Elend ist der Fluss der Welt. Und jeder muss rudern. Jeder? Die Regie fängt die Verallgemeinerung damit auf, dass zuletzt nur einer rudert. Es ist der geschlagene, gehetzte, arme Woyzeck. Wer sonst? In der finalen Szene übernimmt in dieser klugen Inszenierung sein Sohn das Ruder. Das Elend der unteren, entrechteten Schichten wird weitergehen. Bis heute.