Ein Eleve tanzt im Vordergrund mit ausgestreckten Armen

Leider geil

Manuel Kressin/Katerina Vlasova : Rhythm Is a Dancer

Theater:Theater Altenburg Gera, Premiere:23.02.2025Regie:Manuel Kressin

Im Theaterzelt in Altenburg führt „Rhythm is a Dancer“ das Publikum im Revue-Charakter in eine frühere Diskothek in Altenburg. Es wird zur berauschten Gemeinschaft – und kommt damit dem Ursprung des Theaters durchaus nah.

„Ich führe dich in eine Zeit vor unserem Land.“ Der Party-Mephisto nimmt Valerie an die Hand. Es geht ins Flash, in eine Disko-Ära, in der alles möglich schien und die Hoffnung grenzenlos war. Es zählte nur, in der Gemeinschaft zu tanzen und das irgendwie individuell. Mit „Rhythm is a Dancer“ hält das Theater Altenburg Gera seinen Zuschauenden den Spiegel vor. In der Ü-45-Party erkennen diese – potenziell – ihr jüngeres Selbst. Oder lassen sich einfach von den Disko-Tanz-Einlagen wegtragen. Und sie stellen sich vielleicht die Frage, warum man so gern dunkle Orte aufsucht, um dort im Kollektiv zu tanzen.

Das Theaterzelt in Altenburg – die sanierungsbedingte Interimspielstätte – bebt zu fast jedem Zeitpunkt. Die schwierige Raumsituation, in einem Zirkuszelt eine Guckkastenbühne unterzubringen, und die nicht minder herausfordernde Akustikfrage werden einfach mit Beats und Lautstärke überspielt. Mit minimaler Handlung gibt Regisseur Manuel Kressin einen Rahmen für den Auftritt von Tanzkönigen und Dancings Queens. Einmal im Jahr blüht Valeries Mutter auf, wenn sie auf eine Revival-Party mit den Hits aus guten alten Tagen geht. Valerie versteht nicht, warum die mittelalten Menschen wie ihre Mutter ansonsten alle so mies gelaunt und hoffnungsleer sind. Da erscheint ihr eine gute Fee in Form des Party-Mephistos („Ich bin der Geist, der stets feiert.“) und zeigt ihr die Jugend ihrer Mutter im Flash.

Mutter on the Dancefloor

Das Flash gab es wirklich: Es war eine Diskothek in Altenburg, wo mutmaßlich fast alle der heute im Publikum sitzenden einst ausgingen. Mittlerweile ist das Gebäude abgerissen, nur der „Flash“-Schriftzug an der Wand weist darauf hin. Der DJ hinterm Pult legte damals wirklich im Flash auf. Teile der Lichttechnik sollen original sein. Selbstverständlich ist die Bühne einer Disko mit Tresen nachempfunden, bildet das Zentrum eine Tanzfläche, zu der zwei Stufen hinunterführen. Erst ist sie befremdet, dann lässt sich Valerie mitreißen, entdeckt ihre Mutter on the Dancefloor. Sie, die als 18-Jährige während der Pandemie vor allem auf Abstandhalten getrimmt wurde, findet Spaß daran. Denn „Rhythm is a Dancer“, wie man spätestens seit dem Snap!-Hit weiß.

Was kostet die Welt?

Valerie lernt Beam-Cola im Doppeldecker – Rabatt zur Party Hour – kennen, Pfeffi ebenfalls und darf drinnen rauchen. Dass Nazis in Popschuppen toleriert wurden, wundert sie, aber das war damals so. In den knapp gehaltenen Dialogen sind kleine Spitzen ins Heute eingebaut. Auch das Gefühl, im Westen noch immer als Fremder angesehen zu werden, wird touchiert. Dick wird die euphorische Nachwendestimmung heraufbeschworen. Nach dem Mauerfall stand den Ex-DDR-Bürgern die Welt offen, zumindest dachten sie das. Wo sind all die Jahre? Wo stehe ich heute? Diese Fragen werden nicht gestellt, aber drängen sich einfach auf. Das ermöglicht Reflexionsmomente in den Zuschauerköpfen. Aber eigentlich geht es um die Party. Und die ist leider geil.

Obwohl der Abend kein künstlerisch-großer Wurf ist, geht er wunderbar auf. Er ist ein Fest, rührt, wenn man schon theoretisieren möchte, am Theaterursprung. Das Publikum wird zur berauschten Gemeinschaft, wenn sich vorn die Diskokugel dreht und die Masse tanzt. Zu Hits von Cher und Nirvana, Dr. Alban, Blümchen, Marusha und vielen anderen  sind Choreografien zu erleben. Die Schauspielenden bringen Lebenslust auf die Tanzfläche, scheinen sich manchmal improvisiert und nicht zu perfekt zu bewegen. Das macht es umso ehrlicher, wenn sie hingebungsvoll die Tanzwut rauslassen.

Großes Können beweisen die Elevinnen und Eleven des Thüringer Staatsballetts, die eine atemberaubende Kollektivleistung hinlegen. (Choreografie: Katerina Vlasova) Neben einem grandiosen Solo zu Madonnas „Frozen“ begeistern die 14 Tanzenden im gemeinsamen Dauereinsatz. Der Abend hat vor allem Revue-Charakter, die Choreografie sitzt und die Stimmungshits tun das Ihrige, wenn jeder mitsingt: „It’s my life“!