Foto: Das „Wonderwomb“-Ensmble in Marburg © Jan Bosch
Text:Detlev Baur, am 18. September 2022
Am Anfang ist die Sprache. Auf der kleinen Studiobühne des Hessischen Landestheaters in Marburg sind zu Beginn abgefilmte Münder in Großaufnahme zu sehen , die über die Bedeutung der Redekraft sprechen (Video: Rebecca Riedel). Mit diesem multimedial-theatralen Beginn kommt Eva Langes Uraufführung Amir Gudarzis Stück „Wonderwomb“ (zu deutsch etwa „Wunderleib“) schon sehr nahe. Denn der aus dem Iran stammende und seit 2009 in Wien lebende Autor vertraut als deutschsprachiger Autor in einem Maß der Kraft der Sprache, dass man bei der Textlektüre des Gewinnerstücks für den Kleist-Förderpreis 2022 auch an seine große österreichische Kollegin Elfriede Jelinek erinnert wird.
Öl und mehr
Zentrales Thema, eher Motiv, ist Öl, das schwarze Gold. Personifiziert taucht es auf als „Chor der toten Tiere, die zu Öl geworden sind“, auch als „Chor der toten Tiere, die durch Öl sterben, oder bereits gestorben sind“. Gudarzi beschreibt einen sehr weiten Bogen der Erdgeschichte bis zur Krise der Gegenwart, in der wir Menschen mit Hilfe fossiler Energien das Leben von Tieren und uns selbst zerstören. Er verhandelt in dem poetisch mäandernden Text aber auch menschliche Einzelschicksale, die mit seiner eigenen Biografie verwoben sind. Der Iran und andere Öl fördernde Länder sind Schauplätze, ebenso arabische Staaten, die New Yorker Börse oder Österreich. Das Stück ist eine weltumspannende Überforderung, reißt Einzelschicksale an und beschreibt eine abstrakte „Einheit“ der Leben spendenden Toten.
Weniger aktivistisch als Thomas Köck, ein anderer zeitgenössischer Autor aus Österreich, der mit großen poetischen Bildern, aber politisch konkreter die Krise der Menschheit beschreibt, vermengt Gudarzi in „Wonderwomb“ sehr gewagt – und faszinierend – große Themen wie Energiekrise, Fremdenfeindlichkeit bis hin zur Pandemie miteinander. Durch seine persönliche Perspektive entsteht da ein wirklich kosmopolitisches Theater, das jedoch leicht ins Unverbindliche abrutschen kann.
Chorische Kraft
Auf der von Plastiklappen umhängten Bühne (Carolin Mittler) agieren drei Erzähler*innen in goldglitzernden Anzügen (Kostüme: Agathe Mac Queen). Voll wird es dann auf der Bühne, wenn noch der Chor der Un-Toten, „Eine Einheit, Öl genannt“, dazu stößt (Saskia Boden-Dilling, Eike Mathis Hackmann, Anna Rausch, Silvia Schwinger und Mia Wiederstein) und schließlich die Gruppe der immer wieder auftauchenden Gestalten – „Protagonisten“ trifft ihre Rollen eher nicht –, anfangs als Superheld:innen (Lisa Grosche, Fanny Holzer, Ben Knop, Ulrike Walther und Konstatin Marsch, der kurzfristig für Sven Brormann einsprang). Bis die Spielebenen und Figuren angerissen sind, dauert es; die Gruppe der Öl-Wesen etwa wirkt vor allem chorisch einstudiert, verkörpert aber noch wenig eine spannungsreiche Gruppe.
Mit zunehmender Spieldauer der zweistündigen Inszenierung finden der schwer zu bändigende, schnell die Ebenen wechselnde Text und die Choreografie der 13 Akteur:innen im Raum immer besser zueinander. Eva Langes Regie setzt ganz auf die sprachliche und chorische Kraft der Darsteller:innen und setzt filmische Bilder oder akustische Elemente (Musik: Kathrin Vellrath) eher sparsam ein. Die irre Verschachtelung von Szenen um die (von der Tochter in Deutschland per Skype verfolgte) Operation einer Frau im Irak mittels High-Tech-Bohrer, die Erschließung eines neuen Ölfelds in Tadschikistan durch eine kilometerweit in die Erde reichende Bohrmaschine sowie die minutiös geplante Ermordung eines iranischen Generals per Drohne aus den USA bringt bei aller „zeitlosen Zeit“ im Stück auch konkretere Geschichten und Zeitabläufe, ja Schicksale in diese überbordende szenische Überforderung. Wie das Ensemble im chorischen Sprechen zusammenwächst ist beeindruckend. Aus dem ambitionierten Kunstwerk wird schließlich ein packendes Welttheater.