Foto: Aram Tafreshian, Bettina Hoppe und Mareike Beykirch in "Mephistoland" © Ute Langkafel
Text:Saskia Burzynski, am 7. Mai 2020
„Mephistoland“ – geschrieben von den drei Ungarn András Dömötör, Kornél Laboda und Albert Benedek in der Regie von András Dömötör – feierte bereits 2016 Premiere am Berliner Maxim Gorki Theater. Ich schaue mir, wie schon seit Wochen, mal wieder einen Stream an. Zwar ist es für mich, die ich derzeit nicht in Deutschland lebe, purer Luxus, mir das Theater nun per Stream ins Wohnzimmer holen zu können, aber der Wunsch, Theater endlich wieder zu besuchen, wird immer dringlicher. Ich will den Blick auf die Bühne selbst bestimmen können, mich mit anderen austauschen, Reaktionen anderer beobachten, Theater nicht allein oder mit maximal einer Person auf dem Sofa schauen. Sich nach einem Homeoffice-Tag noch einmal vor den Bildschirm zu setzen, wird langsam auch eher zu Qual.
2013 wurde der weltoffene Intendant Róbert Alföldi am ungarischen Nationaltheater abgelöst von Orbán-Freund Attila Vidnyánszky. Es handelte sich dabei klar um eine politische Entscheidung; laut einem Interview bei Deutschlandfunkkultur wurde Alföldi „Verrat am Ungarntum“ vorgeworfen. Auch in „Mephistoland“ wird ein Intendantenwechsel besprochen, der rein politisch motiviert ist, auch dort möchte man sich auf „nationale Werte“ rückbesinnen. Stoffhintergrund ist auch Klaus Manns „Mephisto“-Roman, das Werk, das Alföldi in seinem letzten Erfolg bearbeitet hat.
Eine Gruppe von drei Schauspielern (Tim Porath, Aram Tafreshian und Mehmet Yilmaz) und zwei Schauspielerinnen (Bettina Hoppe und Mareike Beykirch) steckt gerade in den Proben zu „Mephisto“, dessen Premiere aufgrund des bevorstehenden Intendantenwechsels ungewiss ist, und formt zunächst Widerstand. Grünberg (Bettina Hoppe) könnte die Intendanz übernehmen, ein Freund des Ministerpräsidenten, der langsam die Theater mit seinen Bekannten und somit seinen Werten besetzt. Der Aufstand, der vor allem aus Petitionen besteht, ist zu schwach, auch der Hungerstreik einer Schauspielerin vor dem Theater, die sich in einen Käfig eingesperrt hat, bleibt erfolglos. Grünberg – nicht der Kultur, sondern der Politik zugewandt – wird Intendant.
In blonder Perücke hält er gemeinsam mit seiner rechten Hand (Tim Porath) eine ausdruckslose, einlullende Rede. Er verspricht mehr finanzielle Mittel für das Theater, keine Änderungen und dass die neue Statue des Heiligen Georg vor dem Theater um fünf Meter erhöht wird. Gefordert wird aber gleichzeitig, dass Theater zur nationalen Sache wird, „in heimischen Traditionen“ wurzelt. Von einem gemeinsamen Kampf ist die Rede, kathartisches und nicht mehr kritisches Theater zu machen, das ja bloß Lüge und Angst verbreitete, in dem es die Tugend verspottete: „Das ist unser Kampf, ja, das ist auch mein Kampf.“ Tim Paroth, Starschauspieler, flüchtet daraufhin ins Exil, um in einem Erlebnisbad zu arbeiten; sein homosexueller (Ex-)Freund verlobt sich mit einer Schauspielerkollegin, passt sich an, übernimmt Hauptrollen und lacht über gelegentliche Judenwitze in der Kantine; Bettina Hoppe als Regisseurin und Intendant wird immer aggressiver; von der Dramaturgin (Mareike Beykirch) lässt sich Grünberg schnell noch auspeitschen, nachdem er sie aus dem Theater geschmissen hat, da unter anderem sie für die Theaterinhalte stand, die er vernichten will.
Bei dieser Gemengelage, einem Kulturbruch, einer Zensur in der Kultur und einem Rechtsruck, kommt man natürlich nicht umhin, auch auf die Nazigeschichte einzugehen. Hitler (auch dieser wird von Bettina Hoppe gespielt, die den Abend mit großem schauspielerischen Talent bestimmt) zensiert sich selbst. Vor einer Filmkamera, die Pistole für den Selbstmord schon im Mund, stoppt die Adolf-Hitler-Darstellerin. Selbstmord ist eine Sünde, und diese soll nicht gezeigt werden. Per Telefon wird die Beichte abgenommen, die Pistole geweiht, alles ist gut, der Selbstmord kann stattfinden.
Politik gefährdet die Kultur durch Desinteresse (das sich auch während der Coronakrise zeigt), Mittel werden immer weiter gekürzt; die Interessen der Mächtigen bestimmen alles, wollen sich etwa wie in „Mephistoland“ beziehungsweise Ungarn 2013 in die Kultur einmischen, um sie nach ihren Vorstellungen zu gestalten. Was nach Dystopie klingt und in „Mephistoland“ auch zutiefst komisch und karikativ behandelt wird, ist vielerorts bereits Realität und vielleicht Zukunftsvision vieler Politiker. Was wir brauchen, ist eine gesunde Diskussionskultur, ein Hören und Akzeptieren anderer Stimmen und von mehr Gemeinschaft – statt immer mehr Abgrenzung und Interessensinseln. Auch das veranschaulicht „Mephistoland“ in einigen Szenen. So streiten sich beispielsweise zwei Schauspielende (Bettina Hoppe und Aram Tafreshian) um den schöneren Wikingerhelm während einer Kostümprobe – Banalitäten gewinnen Oberhand und wir vergeuden unsere Zeit damit.