Foto: Die revolutionäre Bühne im Schauspiel Essen. Eine Szene aus "Ulrike Maria Stuart" in der Regie von Hermann Schmidt-Rahmer. © Matthias Stutte
Text:Stefan Keim, am 24. Oktober 2011
Hermann Schmidt-Rahmer zielt im Schauspiel Essen auf die Gegenwart – ebenso wie Dirk Lauckes Essener Projekt „Angst und Abscheu in der BRD“, das am selben Tag Premiere hatte (siehe unsere Kurzkritik oben). Auch Elfriede Jelinek hat ja mit „Ulrike Maria Stuart“ kein Historiendrama über die RAF geschrieben. Indem sie Meinhof und Ensslin mit Maria Stuart und Elisabeth I. parallelisiert, sucht sie nach Schemata, die über das konkrete Einzelbeispiel hinaus gehen. Dennoch macht sich Jelinek – und mit ihr die enorm kurzweilige und pointierte Inszenierung – über die banalen Schwächen lustig, die zum Beispiel zur Verhaftung von Ulrike Meinhof führten. Sie hatte beim Shoppen in einer Boutique ihre Lederjacke samt Pistole abgelegt. Schlussfolgerung: Auch hier hat es mit der Aufopferung im Dienste der Revolution nicht so ganz geklappt. Auch Terrortussis stehen auf Klamotten und begehen deshalb Fehler.
Schließlich stehen die Schauspieler auf einem ins Publikum hinein gebauten Laufsteg und fordern die Zuschauer zu gemeinsamen Aktionen auf. Aber kein Besucher will sein Auto für die Revolution zur Verfügung stellen. Nachdem Souffleuse Uschi als Geisel genommen wurde – „Wir müssen nicht mehr Jelinek spielen, die schreibt doch sowieso immer dasselbe.“ – und Tütchen mit Streichhölzern verteilt wurden, um Autos anzuzünden, geht es doch mit dem Stück weiter. Am Ende holt ein Todesengel Ensslin und Meinhof – oder sind es Maria und Elisabeth? -, und sie hängen schlaff an Haken in der Luft. Mal ist die eine oben, mal die andere, ein groteskes Mobile. Und aus den Boxen tönt „Es ist vorbei, bye, bye Junimond.“ Zweimal distanziert sich das Theater vom Aktivismus, zeigt Wutbürgerdämmerungen, ruft auf zum genaueren Hinsehen. Essen wie auch Oberhausen erlangen politische Relevanz auf hohem spielerischem Niveau.