Foto: Tanz in der Schlosskirche Pforzheim: "Heimatwelten" © Theater Pforzheim
Text:Eckehard Uhlig, am 6. November 2015
Flüchtlinge und deren (verlorene oder gesuchte) Heimat: das Thema brennt unter den Nägeln. Alle haben dazu etwas zu sagen, vor allem die Künstler, auch das frisch formierte Pforzheimer Stadttheater-Ballett.
In seinem ersten Ballettabend „Heimatwelten“, mit dem sich Pforzheims neuer Ballettchef Guido Markowitz und das elfköpfige Ensemble in der Schlosskirche vorstellen, geht es um impulsive Äußerungen ringender, leidender Menschen. Zur Begrüßung des Publikums turnen mit Lampen bewaffnete Tanzakrobaten auf dem Fassaden-Gerüst über dem Eingang zur Schlosskirche herum, deren Äußeres zur Zeit instandgesetzt wird. Im Kirchen-Inneren, das abgesehen von beleuchteten, wechselnd improvisierten Tanzpodien düster und dunkel bleibt, hängen farbige Tücher wie abgelegte Kleidung über den Bänken. Die künstlichen Geräuschkulissen könnten von überladenen Schrott-Barkassen stammen, die sich mit Flüchtlingen durch Meereswogen kämpfen. Die den Tänzen zugrunde gelegte elektronische, an Weltmusik erinnernde Klang-Collage ist von endlosen Text-Rezitationen überlagert.
Vom Chorschranken-Lettner hoch oben agieren Sprecher, was wie eine Verkündigung wirkt. Dann ziehen die Tänzer in die Kirche ein, drei von ihnen bahnen als Vortänzer den Weg, hinter ihnen folgt flüsternd das Gros des Ensembles. Vor dem Altar produziert sich ein Tanzpaar mit allerhand Drehwürmern und verschraubten Figurationen, Hebern und Abwürfen, danach mühen sich vier weitere Paare mit Geschrei in babylonischer Sprachverwirrung. Jemand singt ein zärtliches Lied. Manchmal tragen die Tänzer ihre Partnerinnen wie Rucksäcke auf ihrem Rücken, bilden Kolonnen. Zweikämpfe brechen aus, manche Akteure verlieren sich in wild zuckendem Bewegungsrausch, der von zeitlupenhaft zerdehnten Gesten abgelöst wird. Irgendetwas gerät aus den Fugen: Kriegslärm mit Getöse und Donner, offenbar von Brettern, die auf Steinböden knallen oder von grellbunten kleinen, aufeinander geschlagenen Requistiten-Tischchen erzeugt. Der Tanzfluss verdichtet sich zu geballten Spannungen in der Wucht erdgebundener, elementarer Körper-Schwünge. Angstzustände führen Gruppen eng zusammen, Paare fuchteln hilflos mit ihren Armen. Sprechende Handlungen und Konstellationen entfalten sich im tänzerischen Rhythmus.
Zum Abschluss führen die Tänzer ihr Publikum durch die Lettner-Glastüren in den Stiftschor der Pforzheimer Schlosskirche zu den Ruhestätten der badischen Markgrafen und Großherzöge. Zu Füßen ihrer Stein-Denkmäler haben die Protagonisten, die sich an der Chor-Rückwand versammeln, brennende rote Kerzen aufgestellt, die auf die Bodenfläche symbolische Muster zeichnen. Hier mündet der einstündige Abend endgültig in ein tanztheatralisches Mysterium ein, das die zahlreich gekommenen Besucher nachhaltig beeindruckt.