Tanzoffensive am Mousonturm

Crystal Pite: The You Show

Theater:Künstlerhaus Mousonturm, Premiere:04.11.2010

Sollte das eine Drohung sein? In Vorberichten hatte Crystal Pite angekündigt, sie wolle ihre Tänzer unmittelbar mit den Zuschauern in Verbindung treten lassen. Was soll das heißen? Ringelpiez? ,,Mitmachtheater“? Derlei Befürchtungen erwiesen sich als unbegründet. Die Tänzer blieben hübsch auf der Bühne, die Zuschauer wurden nicht angetastet. Nicht unmittelbar körperlich jedenfalls. ,,The You Show“ ist der erste Tanzabend, den die kanadische Choreografin mit der neuen Hauscompagnie Kidd Pivot Frankfurt RM am Mousonturm entwickelt hat. Die überwiegend kurzen Stücke des Vierteilers sind in sich abgeschlossen, aber durch eine übergreifende Dramaturgie miteinander verbunden. Berührt wird man als Zuschauer schon. Die Idee einer unmittelbaren Ansprache, einer direkten Vermittlung von körperlicher Erfahrung geht auf.

Gespielt wird in einem kargen schwarzen Bühnenraum; einige Scheinwerfer begrenzen den Hintergrund. Zu Beginn des ersten, mit ,,A Picture of You Falling“ überschriebenen Teils verweist eine Stimme darauf, dass es sich bei dem Körper, der in eine Erinnerung eintaucht, um den des Zuschauers handeln könnte. In ,,The Other You“ zeigen zwei einander zwillingshaft gleichende Tänzer, welche Macht ein anderes Ich an einem auszuüben vermag. Ein Tänzer setzt sich auf einen Stuhl und redet. Er spricht davon, wie gefährlich es ist, sich auf eine Beziehung einzulassen. Wolle man nicht Gefahr laufen, Verletzungen zu erleiden, haut man am besten gleich wieder ab. Es ist ein Standardmotiv des Tanztheaters schon seit Pina Bausch selig, mit dem sich Crystal Pite in ,,A Picture of You Flying“ beschäftigt, dem mit beinahe vierzig Minuten längsten Stück. Sie tut das auf eine humorvolle, keineswegs alberne Weise. Der schwarze Tänzer Jermaine Maurice Spivey begibt sich in eine Superman-Fantasie. In der Spanierin Sandra Marin Garcia aber findet der heldenhafte Kämpfer gegen das Böse in der Welt seine Meisterin. Mit mediterranem Furor bringt sie den Helden der Lüfte zum Absturz.

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Ansätze von Harmonie offenbart ,,Das Glashaus“ am Ende. Zum Beginn des Duostücks aber klirrt ob jeder der tastenden wechselseitigen Berührungen zerbrechendes Glas. Diesem Abend ist eine einnehmende formale Strenge eigen. Das Paar, das Pas de deux ist eine zentrale Kategorie. Hier entstehen immer wieder Momente der Poesie. Es scheint etwas Utopisches auf: Die Verwirklichung des menschlichen Sehnens. Kurz immer nur, denn die Verhältnisse sind kompliziert. Aber kein Anlass zur Verzweiflung: ,,The You Show“ ist frei von Schwere. Die eigene Tanzsprache, die Crystal Pite erkennen lässt, bezieht sich auf das Erbe der klassischen Tanzmoderne, auf den Formenfundus eines George Balanchine wie auf den von William Forsythe, in dessen Frankfurter Ballettensemble Pite einige Jahre lang getanzt hat. Nach dessen Auflösung lag der Tanz in Frankfurt für etliche Jahre am Boden. Im Zuge der vom Mousonturm initiierten Tanzoffensive ist die Etablierung der mit vorzüglichen Tänzern besetzten Compagnie ein weiteres Signal für sein neuerliches Wiederaufleben.