Foto: Szene mit Christian Bauch und Anne Jung. © Wolfgang Runkel
Text:Eckehard Uhlig, am 6. Februar 2012
Osteuropas Komponisten sind mit der Welt des Tanzes verbunden – wie Tschaikowsky und das romantisch-klassische Ballett, Strawinsky und die Ballets Russes. Peteris Vasks hat in Pascal Touzeau seinen kongenialen Tanzmeister gefunden. Jedenfalls zeigte sich der Lette bei der Uraufführung von Touzeaus Dreiteiler-Ballett „Voices“ im Mainzer Staatstheater von seinem Partner und von der balletteusen und musikalischen Wiedergabe seiner Werke begeistert.
Was nicht von ungefähr kommt. Denn der Mainzer Ballettdirektor treibt das in einen Satz gefasste Manifest der Ballett-Moderne, Balanchines Devise „Man muss die Musik sehen und die Choreografie hören“, auf die Spitze. Und bleibt trotz des zeitgemäßen tänzerischen Ausdrucks in der Wahl seiner Mittel klassischer Figuration verhaftet – wie Vasks seinerseits keine atonale Musik schreibt, sondern der schönen Harmonie und gefühligen Klanglinie die Treue hält.
Also drei kunstvoll geformte Choreografien à 30 Minuten als ausgetanzte Komponisten-“Stimmen“. Im ersten Durchgang zu Vasks Klavierstück „Pavasara Muzika“ („Frühlingsmusik“) agiert im rechten Bühnenhintergrund überaus virtuos der Pianist Christian Grifa am Flügel. Im anderen Brennpunkt-Lichtkreis auf der sonst abgedunkelten Bühnenfläche simulieren unterschiedliche Tanzpaare nacheinander in sympathieblau transparenten Trikots vielfältige Begegnungs-Situationen, sind verliebt oder fühlen sich voneinander abgestoßen, scheinen voller Sehnsucht, reagieren ernüchtert kühl. Gemeinsam ist ihnen die in der Bewegung zur Musik sprechende Emotion. Kleinteilig abstrakte Schrittfolgen, weit aufgespannte Gestik von Armen und Beinen, selbst bizarre Verdrehungen entlang der Körperachse demonstrieren, dass es sich um Menschen handelt, die nicht ohne Grund ihre Glieder verrenken und ihre Körper umschlingen.
In der folgenden Choreografie zu Vasks 2.Sinfonie, die vom Philharmonischen Staatsorchester Mainz unter Michael Millard interpretiert wird, kommt vermehrt klassisches Vokabular zum Einsatz. Man sieht Momente triumphalischer Hebefiguren, angedeutete Sprünge, Arabesken und Spitzentanz. Elegant geschmeidige Soli, Pas de deux und Ensembles der in raffiniert geschnittenen schwarzen, rot verblendeten Bodies auftretenden Tänzer lösen einander ab, wobei mehrfach bei ausbrechendem orchestralen Klangtumult der Vorhang fällt und die Musik ohne Tanzbegleitung auskommen muss. Im letzten Teil des Ballettabends zu Vasks Konzert für Violine und Streichorchester („Fernes Licht“), in der Mihail Katev auf erhöhtem Podest süffige Geigen-Kantilenen zelebriert, münden alle Gefühle in raumgreifendes Übereinandergleiten tänzerischer Einzel- und Gemeinschaftsaktionen. Die mit bunten Seidentops ausstaffierten Protagonisten fluten in teils sanften, teils heftigen Wellen und Windungen durcheinander. Und rutschen nach erschöpfender Leistung durch schwarze Quadrat-Öffnungen in die Theaterkatakomben hinab, aus denen sie auf schmalen Treppen zurückkehren dürfen. Vielleicht ein symbolträchtiger Verweis auf Abgesang und Wiederauferstehung (neo-)klassischer Ballettkunst.