Foto: Das Kieler Ballett-Ensembe vertanzt Verdis "Requiem" © Olaf Struck
Text:Ruth Bender, am 18. Dezember 2012
Es war eine Herausforderung: Giuseppe Verdis gewaltiges „Requiem“, das von Zeitgenossen des Komponisten nicht umsonst den Titel „Oper im liturgischen Gewand“ erhielt, als Ballett auf die Bühne zu bringen. Kiels Ballettchef Yaroslav Ivanenko, der Schleswig-Holsteins Landeshauptstadt in seiner ersten Spielzeit einen zuckersüßen „Nussknacker“ und eine neoklassische Adaption von Tschechows „Drei Schwestern“ bescherte, hat es gewagt und nähert sich der eindringlichen Musik, ohne sich bildmäßig vorzudrängeln. Die Tänzer hat Kostümbildnerin Elisabeth Richter in stille Farben gewandet. Norbert Ziermann arbeitet im schlichten, klar gegliederten Bühnenbild mit Andeutungen christlich-kirchlicher Symbolik, teilt die Bühne zum Triptychon, lässt Leuchtbalken vom Bühnenhimmel schweben und formiert sie zu Kreuzfiguren.
Am Anfang ist Michelangelos Pièta. Ein lebloser Körper (Nikolaos Doede) hingegossen auf Marias (Agniezska Hauser) Schoß, während die Einleitung zu Verdis „Requiem“ von flirrender Tonlosigkeit anschwillt ins melodische „Kyrie eleison“. Allmählich wird dazu der Chor sichtbar, hinter dem Paar zur Wand gestaffelt auf drei Ebenen wie die Apostel und Evangeliare auf dem Altaraufsatz. Ein schlichtes starkes Bild, das der Musik standhält, ohne ihr Konkurrenz zu machen.
Zum zornigen „Dies irae“ öffnet sich die Wand, schafft Raum für die Tänzer. Die umwimmeln und umflattern einander. Sie fallen und stehen auf, verclustern und verklumpen zu bizarren Skulpturen oder lösen sich in schwebenden Linien. Schmerz lässt sich da herauslesen, stille Trauer, Vergeblichkeit. Die Leidensgeschichte Jesu kommt einem in dem Sinn, wenn Ivanenko immer wieder Kreuzigungsfiguren variiert. Und auch an menschliche Höllen mag man denken sowie an Dante, den der Choreograf im Programmheft als nur eine seiner Inspirationsquellen nennt.
Ivanenko legt nichts fest, verlässt sich ganz aufs Assoziative der Bewegung. Das ist die Stärke und die Schwäche des Abends, an dem die Bilder oft im Ungefähren der Stimmung hängenbleiben und der Tanz selten auf Augenhöhe mit Verdis Musik agiert. Es gibt wunderbar filigrane Pas de Deux-Passagen, in denen die Solisten Victoria Lane Green und Nikolaos Doede mit stillem Ausdruck glänzen und einen Hauch von Verdis Totenklage atmen. Aber es gibt auch die Standards der Gruppenformation, die sich einfach auf die Musik drauflegen: Da gestalten die Männer das hymnische „Sanctus“ als sportlich fröhliche Leistungsschau, feiert das Lux Aeterna die Frauen als weiß gewandete Unschuld. Dabei hat der Choreograf den Blick auch für die andere Seite der Form. Dann sieht man den Bewegungsfluss brechen, einen Arm erschlaffen oder eine Figur ins Taumeln geraten, bevor sie sich wieder fängt.
Ein echter Dialog zwischen Musik und Tanz entsteht so nicht. Bei allem Einsatz von Ivanenkos junger hochmotivierter Compagnie, der es gleichwohl noch etwas an Reife und Ausdruck fehlt, bleibt die Musik der Star. Nicht umsonst stehen die Sängersolisten Agnieszka Hauser, Marina Fideli, Yoonki Baek und Petros Magoulas auch ganz konkret im Vordergrund, während der stimmstarke Opernchor die Folie für den Tanz liefert. Und darüber strahlen Kiels Philharmoniker, die Verdis „Messa da Requiem“ unter Generalmusikdirektor Georg Fritzsch im vollen Bewusstsein der Gegensätze von schwebender Schwerelosigkeit bis zu den massiven Ausbrüchen ausformen. Ein lohnendes Experiment bleibt der Ballettabend trotzdem. Auch wenn an dessen Ende vielleicht die Erkenntnis steht, dass der Tanz hier eher Begleiterscheinung bleiben muss.