Foto: Carla Wieden Dobón (Das Mädchen) und Ensemble © SFF Fotodesign, Hof
Text:Luisa Reisinger, am 22. Januar 2016
Trinken Sie lieber Bier oder Wein? Moderner Ausdruckstanz oder klassisches Ballett gefällig? Sinfonische Klänge oder Chormusik? In der fränkischen Tanz-Happy-Hour am Theater Hof ist an diesem Abend beides möglich. Das Ballettensemble präsentiert Igor Strawinskys „Le Sacre du Printemps“ und Wolfgang Amadeus Mozarts „Requiem“ als spartenübergreifenden Tanztheater-Doppelabend. Der Tod, die Vergänglichkeit des Lebens? Vielleicht ist es das, was die beiden so gegensätzlichen Werke verbindet. Aber geschickte rote Dramaturgiefäden will dieser Abend überhaupt nicht stricken. Eher „zwei für den Preis von einem“ liefern.
„Le Sacre du Printemps“ – das Bier in der Tanz-Happy-Hour, bitter und herb, eröffnet den Abend. Sechs junge Frauen und Männer, gepackt in hautenge knappe Ballettanzüge. Eine Gruppe im diesigen Bühnenlicht, sitzend auf einer Rampe in einem rechteckig ausgeschnittenen Fenster. Darüber ein grün leuchtendes Neonrechteck. Eine Diskothek, in der das übliche Spiel der Geschlechter beginnt: das Spiel der Frauen mit den Männern, der Männer mit den Frauen. Ein Verführen und Entführen in einer Nacht voller Möglichkeiten, intensiv bis zur Erschöpfung. Gemeinsam, einsam, synchron und durcheinander. So energiegeladen und exzentrisch die Musik des russischen Komponisten aus dem Orchestergraben quillt (Musikalische Leitung: Arn Goerke), so fließend flüssig folgen die Körper der Choreographie von Barbara Buser. Ein Kollektiv junger Menschen, sich im Gleichklang der Masse bewegend, solange jedes Mitglied widerstandslos folgt. Wie man so zu sein hat, immer parallel den Gesten des Kollektivkörpers nacheifernd. Diese in weiten Strecken durchgehaltene Synchronität des Ensembles wackelt hier und da, je mehr die Musik in Schwung kommt. Bis das System ganz zerbricht, die Gruppe sich gegen eine Einzelne formiert. Die Bewegungen werden intensiver, wechseln zwischen bodennahen, sportiven Leibesübungen und nach oben gerichteten Drehungen und Sprüngen ab. Die Formationen der Frauen und der Männer variieren, und die Ausgestoßene verliert sich, kommt nicht an gegen die Stärke des Kollektivs.
Ausdrucksstark in seiner Mimik tanzt das auserwählte Opfer zwischen Anerkennung in der Gruppe und der Loslösung als Individuum. Die Bewegungen werden zu Bildern, ohne dass der Tanz die Musik doppelt, vielmehr verschmelzen, verfremden und verführen sich Choreographie und Musik gegenseitig. Schuldige für diesen Tod? Das Individuum selbst, das Kollektiv? Die Antwort spielt keine Rolle. Mittelpunkt sind Emotionen durch moderne ausdrucksstarke Bewegungen, die vollends natürlich dem Lauf einer in weiten Strecken nachvollziehbaren Handlung folgen.
Es läutet zur nächsten Runde. Immer noch Happy Hour. Nun Lust auf einen Schluck Wein? Schwarze verschiebbare Wände, die von hinten angestrahlt werden, erzeugen auf der Bühne eine Art sakralen Kirchenraum, der sich aber durch Bildprojektionen immer wieder öffnet. Die Tänzer und Tänzerinnen (gleiches Ensemble wie zuvor) eingekesselt durch die am vorderen Bühnenrand rechts und links stehenden Opernchorsänger, zeigen nun – in wechselnden schwarzen und weißen langen Kostümen – geschlossene Situationen und Bilder. Ohne einen erkennbaren Zusammenhang zum zuvor Gezeigten orientieren sie sich an den liturgischen Abschnitten des Requiems.
Dabei gelingt der Versuch, die choreographischen Abschnitte zu verknüpfen und eine übergreifende Dramaturgie zu erzeugen, nicht stringent. Das allerdings tut der atmosphärisch starken Verbindung zwischen Tanz, Gesang und Musik keinen Abbruch. Spätestens beim Lacrimosa, wohlklingend durch den Opernchor gesungen, ist man überrascht, wie widerstandslos sich Mozarts Chorwerk in Ballettmusik verwandelt. Die Choreographie, die klassische Tanztechnik hier nur ansatzweise mit modernem Ausdruckstanz verbindet, macht die Musik überzeugend sichtbar, schafft einen Zugang zu den lateinischen Gesängen. Hier wird ein samtig weicher Wein verkostet. Wieso die vier Solisten bei ihren Auftritten dabei wie deplatzierte Figuren zwischen den Tänzern in der Bühnenmitte singen müssen, bleibt vor allem als störende Komponente im tänzerischen Gesamtbild in Erinnerung.
Hier wie da unterstreicht das das Spiel von Licht und Schatten die Bewegungen. Dies schafft sehenswerte, eigenwillig bedeutungsvolle Momente. Hier wie da tanzen die Tänzer und Tänzerinnen zwar natürlich, frei und intensiv, jedoch nicht immer mit der wünschenswerten Spannung und Energie. Für jeden, der sich gegen die Herbheit des Rhythmus stellt, bieten die weichen Melodien Mozarts einen süßen Kontrast. Nach den Reaktionen des Premierenpublikums zu urteilen mundete die Abfolge. „Le Sacre du Printemps“ gefolgt von „Requiem“, erst das Bier und dann der Wein: In Hof muss man sich nicht entscheiden, da nimmt man beides dankend an. Wie sagt man auch so schön: Wein auf Bier, das rat ich dir!