Foto: „Chapter 3” als Uraufführung von Sharon Eyal und Gai Behar bei der Ruhrtriennale © Ursula Kaufmann/Ruhrtriennale 2019
Text:Ulrike Kolter, am 27. September 2019
Bei den wenigen Tanzproduktionen der diesjährigen Ruhrtriennale hat man sich das einzig wirkliche Schmankerl bis zum Schluss aufgehoben: Die Uraufführung „Chapter 3: The Brutal Journey of the Heart“ von Sharon Eyal ist der (vorerst?) letzte Teil einer Trilogie über die Liebe, den die israelische Choreographin erneut mit ihrem künstlerischen Partner Gai Behar sowie dem Schlagzeuger und DJ Ori Lichtik kreiert hat.
Die Choreographin Eyal und der Musikproduzent Behar arbeiten seit 2005 zusammen, haben im letzten Jahr den FAUST-Theaterpreis für ihre Mainzer Arbeit „Soul Chain“ kassiert und zeigen „Chapter 3“ in der Bochumer Jahrhunderthalle mit ihrer 2013 gegründeten Kompanie L-E-V (hebräisch für Herz). Dass eine klassisch ausgebildete Truppe diesen rhythmisch pulsierenden Abend gestaltet, verdeutlichte die unerwarteten Ähnlichkeiten der Stile: Ballett wie Techno brauchen Muskelkraft, Präzision, Tempo. Und auch wenn das Publikum zuvor gewarnt wird vor extremer Lautstärke, werden die verteilten Ohrstöpsel kaum genutzt, der eingängige Beat verursacht eher zappelnde Füße.
Anders als in „Love Chapter 2“ sind es hier neun statt sechs Tänzerinnen und Tänzer, die sich in hautengen Ganzkörpertrikots die Seele aus dem Leib zappeln. Dass sich Choreographen für ihre Arbeiten gern von der Pariser Modewelt ausstatten lassen, ist bekannt. Sharon Eyal hatte im letzten Jahr sogar eine Modenschau für Christian Dior Couture choreographiert; deren Chefdesignerin Maria Grazia Chiuri hat ihr nun für „Chapter 3“ wirklich liebevoll-individuelle Trikots entworfen: Man mag sich (zumindest in den ersten Reihen) gar nicht sattsehen an den aufgedruckten Schlingpflanzen, Planetenbildern oder Blätterformationen, die verziert sind mit einem fetten, roten Herzsymbol auf jeder Tänzerbrust. Ja, die Liebe ist Thema, zumindest auf dem Papier befasst sich dieser dritte Teil mit dem Reparieren von Zerbrochenem.
Und ein energetisches Wiederaufflammen ist „Chapter 3“ tatsächlich, eine große Tanzparty aus ununterbrochen den Beat feierndem Hüftschwung, links-rechts-links-Tippeln, rhythmischem Boxen. Was stellenweise wie ein leichter Discoabend daherkommt, ist knallharte Technik – überwiegend auf halber Spitze getanzt. Mal bilden sich verschlungene Reihen, mal Gruppierungen, als solle ein Stillleben fürs Familienalbum entstehen, bei dem dann doch wieder jeder seine eigene, schmerzverzerrte Grimasse zieht oder sich kokett Luftküsse zugeworfen werden. Leichtigkeit wechselt mit Wahnsinn, wie in der Liebe eben.
Dem ersten Teil des 60-minütigen Abends fehlt es dennoch an Tempo, zu sehr sind alle im kleinen Radius ihrer eigenen Beats versunken. Erst im zweiten Teil wird eine gewisse Monotonie durchbrochen, wenn sich Reihen bilden, Paarformationen, oder einige der Tänzer sich in viel zu kurzen Soli sprungkräftig beweisen. Sei’s drum. Ballett und Techno sind wieder mal eine treffliche Symbiose eingegangen.