Doch die Schachmetapher ist nur eine von vielen Ebenen, die Demis Volpi hier anlegt. Vor allem entwirft er meisterlich eine magische Welt, in der Unbekannte, Suchende, Unglückliche aufeinandertreffen: Da sind zwei Kellner mit Schnauzbart, die in synchronen Trippelschritten seitwärts für den ersten Kollektivlacher im Publikum sorgen und Tische und Stühle zurechtrücken; da ist eine amerikanische Touristin (Simone Mess), blondgelockt mit Cowboyhut und Jeans, die die Männer zu verzücken sucht und später, umgekleidet, ein fulminantes Solo auf Spitze hinlegt. Es gibt weiterhin das Revoluzzer-Paar Gina und Franco, die zu Trommelwirbel in hippen Turnschuhen tanzend Flugblätter verteilen und ebenso schnell wieder verschwunden sind. Da wäre der unbekannte Kunde mit Koffern (Dukin Seo), die als Metapher des ewig Reisenden von ihm grazil wie erbarmungswürdig mit allen Gliedern balanciert, geschleppt und geschoben werden. Und es tritt ein unsympathischer Gast namens Lopez (Eric White) auf, der tief gebückt einen ihm zugewiesenen Tisch nach Krümeln abschnüffelt, nervös knaupelt, in eckigen und ungelenken Schrittfolgen sein unsympathisches Erscheinungsbild unterstreicht.
Zentrale Figur aber, die Inkarnation aller Moral sozusagen, ist ein Richter in schwarzer Robe, dessen psychotisches Agieren von Paukenschlägen (hinter der Bühne: Kevin Anderwaldt), untermalt wird. Niklas Jendrics tanzt ihn mit fulminanter Bedrohlichkeit und weit aufgerissenen Augen, anklagend den rechten Arm samt Zeigefinger ausgestreckt, den er bald wie eine Machete schwingt, bald sich selbst damit im Wahnsinn umklammert oder ihn seitwärts sich vor den Mund schiebt. Seine asketische Lebensweise – nur streng abgewogene Karotten – liegt im Zwiespalt dieser kümmerlichen Existenz: Macht über andere wollen, oder Macht über sich selbst haben? Radiomeldungen über ein soeben gefälltes Urteil mit Todesstrafe lassen ahnen, mit welcher Schuld er hadert.
Auf drei musikalischen Ebenen
Die Pauken sind eine von drei musikalischen Ebenen, mit denen der Choreograph sein kleinteiliges Arrangement unterfüttert. Eine weitere ist das Radio, aus dem Tango, Walzer oder argentinische Kinderlieder tönen. Zudem sitzt an der Bühnenseite der Pianist Alexander Ivanov, der ins Geschehen integriert wird.
All diesen Figuren ist die Passion Demis Volpis für den magischen Realismus der Literaten seines Heimatlandes deutlich anzumerken. Stellenweise wünscht man allerdings, dieses formidable Ensemble würde mehr tanzen, weniger an den Lokaltischen sitzen – gerade wegen der herausragenden tänzerischen Momente. Letztlich ist „Geschlossene Spiele“ ein Schauspiel, wenn auch ein handlungsarmes – und die Mitglieder des Balletts am Rhein können beweisen, welche darstellerischen Fähigkeiten sie besitzen. Das ist der Vorteil von Tanz gegenüber Sprache: Man kann soviel parallel erzählen.