Foto: "Erzittre, feiger Bösewicht!", ein Musiktheater für Jugendliche nach W. A. Mozart © Brinkhoff/Mögenburg
Text:Sören Ingwersen, am 21. April 2017
Die Premiere von Johannes Harneits „Erzittre, feiger Bösewicht!“ in Hamburg.
Eine Riesenschlange windet sich über die Wände der Probenbühne 1 der Staatsoper Hamburg. Tamino ist eben auf der Metalltreppe zusammengebrochen, die von der Galerie der Lichttechnik in den Aufführungssaal hinabführt. Zwei feine Damen mit High Heels und Stahlhelm (Lini Gong und Karina Repova) ziehen Sprengzünder aus ihren Handtaschen und machen dem giftigen Tier den Garaus, während Video-Explosion zwei gegenüberliegende Wandflächen orange aufleuchten lassen.
Gut, die Schlange passt jetzt nicht so ganz in das urbane Hamburg-Setting, das die Lichtkünstler von fettFilm für Johannes Harneits Neufassung von Mozarts „Zauberflöte“ ausgewählt haben. Aber da die von zwei Seiten in den Raum strahlenden Projektionen die Fahrt durch Elbtunnel und U-Bahn-Schacht, die Flucht zwischen Hafencontainern und über die Rolltreppe der Elbphilharmonie zu einer Art Adventure-Game machen, sind derlei Freiheiten erlaubt.
Eine größere Freiheit nahm man sich damit heraus, im Rahmen der seit 2001 bestehenden Reihe „opera piccola“ erstmals ein Stück für Jugendliche statt für Kinder zu inszenieren. Auf dem Regiestuhl saß dabei kein Geringerer als Opernintendant Georges Delnon, während Generalmusikdirektor Kent Nagano mit dem Felix Mendelssohn Jungendsinfonieorchester und der Orchesterakademie des Philharmonischen Staatsorchesters bei der Premiere die Partitur mit feinfühliger Spielfreude sinnträchtig aushorchte. Die Staatsoper Hamburg macht ihre Musikvermittlungssparte zur Chefsache. Davon dürfen sich andere Häuser gerne etwas abgucken!
Vorerst ist es aber Tamino, der guckt: nämlich auf das Smartphone von Papageno, der für seinen wählerischen Kumpel eine virtuelle Brautschau veranstaltet. Doch erst die Königin der Nacht, die dritte im Bunde der beiden explosiven Handtaschen-Ladies, lässt das „bezaubernd schöne Bildnis“ von Pamina im Display aufleuchten. Ganz verzückt hängt Tamino an der Leiter in der Mitte des Saals, wo die zu Schneisen verengten Spielflächen sich kreuzen und so den Raum in vier Publikumsblöcke teilen. Damit wird der Zuschauer Teil des Geschehens und ebenso der Chor zum Zuschauer, denn auch das Young ClassX Solistenensemble hat auf den Sitzwürfeln platzgenommen, um von hier aus seine gesungenen Kommentare und Einflüsterungen vorzunehmen, wenn etwa Narea Son als Pamina mit herzbebendem Sopran ihren Tod herbeisehnt, weil Tamino sie scheinbar gar nicht beachtet. Der hat indes andere Sorgen, will der aalglatte Nachtclubbesitzer Sarastro (Denis Velev), der Pamina gefangen hält, die beiden unbedarften Jungs Tamino und Papageno mithilfe seines Handlangers Monostratos (Sergei Ababkin) und seines stämmigen Türstehers (José Barros) doch in seine „family“ eingliedern. Der Pate lässt grüßen.
Sascha Emanuel Kramer muss als behüteter Sohn aus gutem Hause Tamino im Rotlichtmilieu etliche Widerstände überwinden und auch sein Stimmfluss wirkt zuweilen etwas gehemmt. Als Königin der Nacht gibt Renate Spingler ihre hohen Töne zwar an ihre Tochter Pamina ab, aber das glühende Rachefeuer brennt dennoch in ihrer Kehle. Zak Kariithi gibt einen sanglich sattelfesten Papageno und überzeugt mit klarer Diktion – nicht unerheblich bei einer Produktion, in der das Orchester Rücken an Rücken mit dem Publikum sitzt und je nach räumlicher Verteilung der Sänger die Textverständlichkeit stark beeinträchtigt. Übertitel wären gerade für jüngere Zuschauer hilfreich gewesen.
Die zeigen am Ende Begeisterung für diesen hip aufgebürsteten Mozart – und doch: Die „Zauberflöte“ auf 75 Minuten gekürzt, mit neu arrangierter Orchesterbegleitung und Neuverteilung der Gesangsparts; die Überführung der symbolträchtigen Märchenhandlung in eine Mischung aus Coming-of-Age-Drama und Mafia-Thriller, in dem Papagena gleich vierfach als Go-go-Girl auftritt – auf der Innovationsskala für junges Musiktheater, das Themen verhandelt, die im Alltag der Jugendlichen relevant sein könnten und dazu die Ohren für neue Klänge öffnet, rangiert das alles eher im unteren Bereich. Hier zeigt sich einmal mehr das große Problem des Genres Jugendoper: Während das Angebot an Kinderopern in den letzten fünfzehn Jahren kräftig zugelegt hat, gibt es immer noch zu wenig Stücke für die höhere Altersstufe. Auch wenn die Sänger des Internationalen Opernstudios hier in den größeren Partien fast durchweg überzeugten – eine zurechtgestutzte „Zauberflöte“ als Einstiegsdroge für das gegenwärtige Musiktheater ist zu wenig für ein Haus, das sich die Sparte Musikvermittlung groß auf seine Fahne schreibt. Wo ein Kompositionsauftrag Wunder hätte wirken können, begnügte man sich mit bewährtem Zauber.