Der Erste Solist Friedemann Vogel verwandelt sich souverän als Kronprinz Rudolf vom unglücklichen jungen Mann in einen boshaften Gatten, wechselt souverän zwischen selbstbewusstem Womanizer und Sympathisant der ungarischen Separatisten. Auch die zunehmende mentale Verwirrung gelingt dem technisch wie darstellerisch großartigen Tänzer überzeugend und berührend. In bestimmten Momenten gelingt dank Zoom, was dem Publikum im Zuschauerraum immer verwehrt bleiben wird: sein differenziert leidendes Gesicht in Großaufnahme zu erleben. Was hier ein Glücksfall ist, ist in einem anderen Beispiel entlarvend: In der Nahaufnahme zeigt die Mimik seiner Gattin weniger die Panik vor der brutalen Behandlung durch den Angetrauten, als vielmehr die Angst vor der nächsten technischen Schwierigkeit – und damit den Verlust der Rolle. Wunderbar hingegen ist das Wiedersehen mit Egon Madsen als Kaiser Franz Joseph I., der es versteht, selbst durch kleine Gesten Charisma auszustrahlen. Auch Marcia Haydée und Georgette Tsinguirides kehren in kleinen Rollen zu diesem Anlass auf die Bühne zurück, deren Geschicke sie so lange gestalteten.
Die beiden Ersten Solistinnen Alicia Amatriain und Elisa Badenes verkörpern ihre jeweiligen historischen Persönlichkeiten als (Ex-)Geliebte des Prinzen nuanciert und facettenreich, auch dank der differenzierten Sprache des Choreographen: Untypisch unmärchenhaft, scheute sich MacMillan nicht vor eindeutig sexualisierten, mitunter erotischen und gewalttätigen Gesten, ohne ein Weltklasse-Niveau je aufzugeben. Wunderbar, dass man auf diese Weise – wenn auch nur 24 Stunden kurz – „Mayerling“ auch jenseits von Stuttgart sehen konnte.