Foto: "Così fan tutte" am Staatstheater Nürnberg © Ludwig Olah
Text:Dieter Stoll, am 24. Februar 2019
Zunächst sieht alles nach einem frühen Fall von #MeToo aus: Zwei junge Herren setzen in ungebremstem Besitzerstolz öffentlich auf die Unschuld ihrer Verlobten, weil ein älterer Zyniker mit genetischem Hang zum Übergriff, der von den auch nicht grade unzynischen Autoren als „Philosoph“ bezeichnet wird, die chronische Untreue aller Frauen dieser Welt mit einem Modellfall der Opernstammtisch-Psychologie beweisen will. Erst prügelt sich die Macho-Dreifaltigkeit ein wenig wegen dieser offiziös moralisch so verwerflichen Zumutung, aber dann ist der Spieltrieb schnell stärker als die erotische Correctness. „Frauen und treu? Wer’s glaubt, wird selig“ wird in den zweisprachigen Übertiteln gehöhnt. Alsdann: Wetten, dass…?
Dass sie, nur beispielsweise, in kürzester Frist verführbar sind, wenn ihre Liebhaber plötzlich aus dem vorehelichen Turteln zum Kriegsdienst gerufen und naturgemäß die Bräute zur Beute in „sturmfreier Bude“ (schon wieder die Übertitel) werden. Top, die Zumutung gilt. Der Chor ist einsatzbereit, filmt als gaffende Meute von der Gegenfahrbahn die vorgeschaltete Empörungs-Schlägerei für die nächste Facebook-Fütterung und marschiert sodann wie eine Operetten-Kompanie mit Stahlhelm ins wahre Leben ein. Dort, wo sonst BigBrother-Container und Dschungel-Camp den kleinen Ekelgrenzverkehr zwischen Fake und Exhibitionismus regeln, werden die Ehrenmänner zum Schein abgezogen, um sogleich maskiert in aktiver Konkurrenz zur eigenen Erinnerung wieder anzutreten. Wer kriegt wen rum, und wie schnell? Der Herr Philosoph hat zwischendurch schon mal das Patschhändchen auf den Hinterteilen der trauernden Strohwitwen zwischengelagert. #Man-kann-es-ja-probieren. Mehr „MeToo“ ist nicht drin bei dieser Aufführung, die Frauen und der Regisseur haben sichtlich andere Probleme.
Das historische Handicap aller „Cosí fan tutte“-Interpretationen, der Glaubwürdigkeitskonflikt beim Kontrast zwischen dem Verkleidungs-Klamauk und der tiefgründig bohrenden Musik, ist in der Regie des „Cosí“-Kenners Jens-Daniel Herzog (dritter Anlauf seit 2005) natürlich erkannt, aber mit voller Absicht nicht gebannt. Herzog tritt in geradezu choreographischer Präzision die Flucht nach vorn an, wenn er die adaptierte Standard-Comedy von Lorenzo da Ponte wie eine These in die Gegenwart rammt und mit knallenden Theater-Metaphern umstellt. Er interpretiert nicht neu, er dekoriert um.
Die Bühne von Mathis Neidhardt ist Raum mit Raum, aus dem Hintergrund fährt eine Schaufenster-Vitrine als goldener Käfig der Frauen dicht an die Rampe, damit wir schadenfrohen Zuschauer die Trümmer ihrer allzu kühnen Behauptung von der immerwährend großen Liebe gut im Blick haben. In diese absurde Schein-Idylle brechen die nun mit Kettchen behängten Zweit-Männer, „Albanier“ sollen es sein, wie ein gedoptes Duo-Comeback von Erkan und Stefan ein. Der Wett-Aufrag, sich selbst zu widerlegen, wird wie eine Ehrenschuld mit Jux-Siegel ratifiziert. Wenn dann die falschen Paare geheiratet haben und die „richtigen“ staunenden Blickes bei abgelegter Maskerade in die Konvention ihrer Ausgangsposition zurückkehren, bleibt nur Bitterkeit. Während Mozart und Da Ponte im Schlussgesang Toleranz und Entspannung als Placebo forte empfehlen, pfeffern die Betroffenen ihre Blumensträuße wutschnaubend in die Kulisse, wo aber vermutlich ein Bausparvertrag fürs Einwickeln restlicher Zweifel bereit liegt. So machen’s alle? Wer’s glaubt, ist selber schuld.
Jens-Daniel Herzog hat ein junges Ensemble ins Rennen geschickt und macht es anders als „alle“. Seine detailfreudig komödiantische Regie voller Hingucker-Einfälle verlangt auch vom Zuschauer Multitasking-Talente, indem sie die Plattitüden der Opernkomik wie an einem dehnbaren Gummiband zur Verlängerung der Fallhöhe einsetzt. Das Zurückschnalzen aus der Spaßmacherei in die freudlose Realität ist mitgedacht, funktioniert aber nur manchmal. Wie Ferrando (Martin Platz mit kleinem feinen Mozart-Tenor, gelegentlich in vokalen Grenzbereichen unterwegs) die große „Odem der Liebe“-Arie gegen die eigendynamischen Jokus-Attacken seines Partners mit diskreten Bewegungen abschirmt, das möchte man als Regie-Meisterklasse empfehlen. Wäre nicht vorher Fiordiligi (Julia Grüter mit jugendlich stabilem Sopran) bei der immer wieder großartigen, eigentlich doch pathetisch ernst gemeinten „Felsen“-Arie und mit ihr unter Gag-Beschuss zusammengebrochen. Guglielmo (Denis Milo, modellathletisch mit markanter Stimme und ausfahrbar übermütigem Witz) und Dorabella (Amira Elmadfa als in jeder Hinsicht verwechselbare Schwester) sind das Zweit-Paar auf Augenhöhe, der militante Illusions-Verderber Don Alfonso von Wonyong Kang kommt mit roter Basecap wie Donald Trump zum Golfen und Regieren, was aber keine weiteren Folgen für seine in sich ruhende Darstellungs-Pauschale hat. Naja, und dann springt Andromahi Raptis wie ein Schachtelteufel aus der RTL-Serie allzeit hilfreich hüftschwingend in die Szene. Sie witzelt und spitzelt („Scheiß-Job, Rente mit 67“, sagen die in der Frechheit immer etwas schnelleren Übertitel), hat auch das Blaulicht für die Notfall-Ärztin dabei und die Quetschstimme für den Uralt-Notar. Was heißt da Magda, Despina macht das schon.
Dirigent Lutz de Veer lässt bereits bei den ersten Takten der Ouvertüre erkennen, dass er die Kontrastwirkung von spielerischer Tändelei und donnerndem Gegenschlag als Grundposition dieses Werkes schätzt. Im elegischen Mozart-Ton findet und pflegt er aufblühende Biotope, gerät mit der Orientierung fürs rasende Sänger-Sextett zwischendurch allerdings arg ins Trudeln. Dass die drei Frauen-Stimmen im Klang so nah beisammen sind, der Reiz vokaler Schattierungen also minimal bleibt, muss er wohl nicht verantworten.
Schade, dass dem brillanten Regie-Handwerker Jens-Daniel Herzog, der so angenehm präzise mit Sängern wie mit Pointen umgehen und dramaturgische Effekte setzen kann, bei „Cosí fan tutte“ statt einer eigenen Deutung die Auffrischung von Komödien-Voyeurismus genügt. Wo die Frauen ihre Pumps aus dem Schuhschrank zu Wurfgeschoßen für die Arien-Bewaffnung machen, grüßt der Herrenwitz wie ein Murmeltier. Aber klar, als Einlegesohle ist #MeToo nicht geeignet.