Foto: Jin Seok Lee als Giovanni da Procida am Theater Freiburg. © Maurice Korbel
Text:Georg Rudiger, am 25. November 2013
„Das Recht des Stärkeren macht mich zum Herren“, singt Alejandro Lárraga Schleske als französischer Soldat Robert mit kräftigem Bariton im voll besetzten Freiburger Theater gleich zu Beginn von Giuseppe Verdis Oper „Die sizilianische Vesper“. Und belästigt mit seinem Schlagstock ein sizilianisches Mädchen. Die Gewalt ist auch zu hören, wenn das Philharmonische Orchester Freiburg unter Fabrice Bollon prägnante rhythmische Motive härtet und im Laufe des Abends immer wieder den Klang forciert. Dass Schlagzeug und Blechbläser vielleicht manches Mal etwas zu dominant agieren (zumindest scheint es so im rechten Parkett), tut der packenden, kontrastreichen Deutung des Freiburger Generalmusikdirektors keinen Abbruch. Regisseur Michael Sturm, der in der letzten Saison bereits den Publikumsrenner „Nabucco“ inszenierte, findet ästhetische, stimmige Bilder, um diesem 1282 in Palermo angesiedelten Widerstandskampf der Sizilianer gegen die französische Besatzungsmacht behutsam in Szene zu setzen.
Dabei stand diese Produktion zunächst unter keinem guten Stern. Die für Anfang November geplante Premiere musste wegen Erkrankung zweier Sänger kurzfristig abgesagt werden. Christina Vasileva und Martin Mühle standen aber auch am Samstagabend noch nicht zur Verfügung, so dass die Zweitbesetzungen Liene Kinca und James Lee ins kalte Wasser springen mussten. Die beiden Debütanten bestehen ihre Aufgabe mit Bravour. Die als leicht indisponiert angekündigte lettische Sopranistin verfügt über ein großes Stimmvolumen und eine kräftige Tiefe, die sie in der Rolle der sizilianische Herzogin Elena regelrecht auskostet. Nur im zurückgenommenen Mezza voce fehlt Kinca am Premierenabend ein wenig Flexibilität. James Lees heller, in der Höhe nochmals an Brillanz zulegender Tenor, der Elenas Liebhaber Arrigo in hellen Farben zeichnet, ist eine echte Entdeckung. Dass der junge südkoreanische Sänger diese hohe Niveau nicht ganz über den gesamten Abend halten kann, ist verzeihlich. Aber nach einer kurzen Schwächephase gewinnt Lee wieder an Strahlkraft und Intonationssicherheit. Die Hochzeitsglocken, die für Elena und Arrigo am Ende läuten, sind für die Sizilianer das Zeichen zum Aufstand. Das vermeintliche Happy End führt in die Katastrophe. Das Gemetzel zeigt Michael Sturm aber nicht, vielmehr lässt der Regisseur einfach ein Tuch als Blickschutz aufspannen (Bühne und Kostüme: Stefan Rieckhoff). Als die Sicht auf die Bühne wieder frei ist, liegt das Volk am Boden. Nur Giovanni da Procida (Jin Seok Lee singt ihn mit schwarzem Bass und metallischem Timbre), der radikale sizilianische Revolutionär, hat überlebt und schwenkt eine blutverschmierte italienische Fahne. Im Augenblick des Triumphs dominiert die totale Einsamkeit.
Immer wieder lässt Verdi die Figuren in dieser fünfaktigen Oper (gespielt wird die italienische Fassung) allein. Die Gesangslinien sind in der Orchesterbegleitung oft ganz dünn instrumentiert. Pausen, die Dirigent Bollon verstörend lang werden lässt, sorgen für Zweifel am zur Schau gestellten Pathos. Die Protagonisten sind gespalten zwischen privatem Glück und Staatsraison. Der französische Gouverneur Montfort, in dem der Bariton Juan Oroczo mit kantablen Legatolinien auch die zärtliche Seite entdeckt, ist oberster Herrscher der Besatzer und, wie er im dritten Akt erfährt, Vater von Arrigo. Auch der uneheliche Sohn ist hin- und hergerissen zwischen der verwandtschaftlichen Verbindung und seiner politischen Überzeugung.
Diesen Konflikten ist Michael Sturm in dem hell ausgeleuchteten Bühnenbild (Licht: Markus Bönzli) auf der Spur, wenn er die Distanz zwischen Vater und Sohn zu Beginn des dritten Aktes räumlich deutlich macht. Aber auch mit den Massenszenen weiß Sturm viel anzufangen. Die Volksfrömmigkeit setzt er mit einer großen, im Laufe des Abends wiederkehrenden Madonnenskulptur ins Bild, zum Volksfest wird eine Tarantella getanzt. Besonders berührend gelingt das Ende des zweiten Aktes, wenn die sizilianischen Bräute nach der (nicht gezeigten) Massenvergewaltigung mit offenen Blusen und apathischem Gesichtausdruck wieder auf die Bühne zurückkehren.
Der Freiburger Opern- und Extrachor (Leitung: Bernhard Moncado) hat mit seiner darstellerischen Präsenz und seiner gesanglichen Qualität großen Anteil an dem Premierenerfolg. Das Philharmonische Orchester Freiburg sorgt nach leichten Startschwierigkeiten für große solistische Momente (Holzbläser!), einen federnden Secco-Klang und höchste Dramatik in den vielen klanglichen Zuspitzungen.