Für ihre Gostner Inszenierung baute Regisseurin Britta Schreiber selber die Bühne, damit da schon mal keinerlei Irrtümer aufkommen können. Sie will keine Boulevard-Schäkerei, keinen rasenden Alternativ-Feydeau, keine Spießer-Attacke, keine Behauptung von nachhaltiger Tiefgründelei – aber durchaus risikofreudig beim Nachwürzen der Komik von allem eine kräftige Prise zur Aromapflege. Die Wand im Salon, der Lebens- und Spielraum zugleich ist, hat nicht nur eine Vase voller Blumen als unbefangen genutzter Freudenquell für durstige Sünder, aus dem angrenzenden Schlafzimmer mit erweiterter Schießscharte ragt auch eine Rutschbahn in die Szene, wo wehende Gardinen, tückische Bettvorleger und erlesen geschmacklos kostümierte Randgestalten mit dem gleichem Wildtierfell-Muster wie die Stuhlbezüge bereit stehen. Zunächst geben zwei geschminkte Männer den Ton an, indem sie mit klimpernden Wimpern und gendernden Stimmen die verunsicherten Herrschaften parodieren. Später werden sie bei laufendem Dialog auch Kostüme und Requisiten wechseln, ohne jede Bremsspur die Rollen wie Staffelhölzer weiterreichen und in allergrößter Selbstverständlichkeit die Möglichkeit von Mord als pragmatische Wiederherstellung der Ordnung durchexerzieren. Alles nur, weil das Leben voller Irrtümer, der Alkohol gelegentlich folgenreich und die schwangere Ehefrau ein Hausdrachen ist. Jaja, die Aufführung lädt uns zum beliebten Blick in bürgerliche Abgründe ein – und zeigt, dass da nur ein Sandkasten-Spielplatz zu sehen ist. „Lass es gut sein, aber lass uns auf der Hut sein“, trällern die Beteiligten, denn ohne ein Tröpfchen „Musical“ ist ja heutzutage die Moral kaum noch verdaulich.
Thomas Witte bleibt als ertappter Bürger mit jederzeit löschbarem Bewusstsein die feste Größe, um die sich die anderen Akteure (hier eher konzentriert als reduziert auf die genießerisch irrlichternden Komödianten Robert Arnold, Jürgen Heimüller und Helwig Arenz, die im Dauersalto durch alle erreichbaren Zirkusreifen springen, und ein verbales Final-Furioso von Christin Wehner) im glucksenden Wirbel drehen. Witte, der begnadete Beiseite-Sprecher und Gegen-Zwinkerer, lässt da dem bräsigen Allzweck-Humor, der Labiches allerspeziellstes Können war, kaum eine Chance. Poetisierende Hochstapelei schließen Regisseurin Britta Schreiber und ihr munter mit Spielzeug-Teilchen hantierendes Ensemble kategorisch aus. So wie man gesprächsweise wie abgehoben aus der Rolle fallen kann, so rutschen die Darsteller hier hinein in ihre Charakter-Vignetten. Es sei denn, es ergibt sich unabweisbar ein Monument der Groteske. Wenn Thomas Witte als Rentier, der uns da bereits als „das große Rindvieh“ aus Schülertagen ans Herz gelegt wurde und Robert Arnold als gegenwärtiger Trunkenbold mit dem verblichenen „Streber“-Ruf gleichzeitig beschließen, zur Verbesserung der eigenen Lage den Partner umgehend zu erdrosseln, ist das in der realen szenischen Ausführung für vier Hände und zwei Kehlen einfach wunderbar dämlich: Synchron-Würgen, das sollte man für Olympia anmelden.
Man kann nicht sagen, dass am Ende der „Affäre Rue de Lourcine“ die Lust auf mehr Witz aus dieser Ecke sprunghaft gestiegen ist – aber man kann ihn jetzt besser mit spitzen Fingern einsortieren. Das Premierenpublikum war hörbar amüsiert.