Großartige Rollenbesetzung
Die bis auf eine Ausnahme nur männlichen Rollen des Abends sind stimmlich wie darstellerisch großartig besetzt. Michael McCown singt in „The Prodigal Son“ die im ursprünglichen Bibeltext nicht vorhandene Rolle des „Verführers“, der wie ein listiger Mephisto den jüngeren Sohn, von Brian Michael Moore gespielt, verleitet, das karge Land- und Arbeitsleben hinter sich zu lassen und in der Stadt Vergnügung zu suchen. Magnús Baldvinsson als Vater bringt dem verlorenen, jüngeren Sohn grenzenlose Vergebung entgegen und nimmt ihn mit offenen Armen wieder auf, hier wunderbar visuell dargestellt durch die Hauskulisse, die vom Dachbalken hängend langsam über den Sohn gleitet und ihn so in die Geborgenheit der sicheren vier Wände wieder aufnimmt. Auch der ältere Bruder, von Jarrett Porter des Opernstudio Frankfurt gesungen, vergibt dem Bruder in Brittens Parabel und so steht in der Lesart dieser Inszenierung am Ende einer Familienvereinigung nichts im Wege.
Die drei jüdischen Gesandten, die in „The Burning Fiery Furnace“ nach Babylon berufen werden, werden von Moore, Barnaby Rea und Pilgoo Kang dargestellt, die ein stimmstarkes Trio abgeben, das sich von seinem ursprünglichen Glauben auch vom „König aller Könige“ Nebukadnezar nicht abbringen lässt, der in dieser Parabel von McCown als glänzende Pop-Ikone vom Herold (Porter) angekündigt im Purpur-Gewandt auftritt. Gemeinsam mit dem Astrologen und Abt (Danylo Matviienko) mit Federhut wirken Herold und König wie eine extravagante Glitzer-Band. Der Kinderchor und seine Solist:innen Stanley Road, Shai Hoppe und Rocco Nima Schulz beherrscht die nicht einfachen Passagen ausgezeichnet.
Siegl hat sich beim Bühnenbild an Symbolischem so einiges einfallen lassen, angefangen bei 24 Tonnen Dreck, die in sieben Ackerfurchen die gesamte Raumlänge der Bühne einnehmen und ordentlich stauben. Da wird zu Beginn schwitzend auf dem Feld geackert und später fällt der verlorene Sohn von der glänzenden Stadtrequisite, nachdem er sein Erbe verprasst hat, wieder zurück in den Staub, was auf der Bildebene sehr gut funktioniert. Eine riesige Sonne nimmt die eine gesamte kurze Bühnenseite ein und überstrahlt so eindrucksvoll als Leben spendende und versengende Kraft die gesamte Vorstellung (Licht: Jonathan Pickers). Auch Wasser ist von Anfang an als plätscherndes Rinnsal akustisch präsent, dient in „The Prodigal Son“ erst zum Bewässern der Felder und wird dann zur prunkvollen Weinquelle, die in der Stadt Vergnügen spendet. Ein riesiger goldener Eber dient erst zur Verführung des verlorenen Sohns, der sich darauf ekstatisch windet und wird in der zweiten Parabel zum Festmahl geschlachtet, wo die jüdischen Jünglinge zur Schmach ihres Glaubens von dem Fleisch essen sollen. Witzig ist schließlich das Abbild Merodaks, dem Gott Babylons, das wie eine riesige Glocke von der Decke hängend einen komischen Anblick bietet und vor dem die Gläubigen Stadtbewohner im Staub kriechen. Funken stieben schließlich gewaltig von der Decke, in denen die drei jüdischen Gesandten verbrannt werden sollen, bevor sie durch die Gestalt eines Engels, hier hervorgehoben als einzige Frauenrolle dargestellt, im Wunder gerettet werden.
Hi-Tech-Überraschung
Fantastisch gespielt ist Brittens Musik, die feingliedrig Silben und Höhepunkte des Textes hervorhebt. Nur acht Musiker:innen des Frankfurter Opern- und Museumsorchesters unter der Leitung von Lukas Rommelspacher spielen in der Kombination aus Bratsche, Kontrabass, Flöte, Horn, Trompete, Posaune, Schlagzeug, Harfe und Orgel die Komposition, die klanglich an Emotionen reißt und den stimmlichen Ausdruck der Sänger:innen intensiviert. Mitunter durch Glissandi und Polyphonie hat Britten den Bibeltext nah an der Satzmelodie vertont, was die Musiker:innen solistisch sowie kammermusikalisch eindrucksvoll vortragen.
Die grundlegenden Bühnenelemente wie Wasser und Erde, die den gesamten Abend durchziehen, sind schlüssig und schaffen einen Bezug zwischen den beiden Parabeln. In „The Prodigal Son“ steht die Güte des Vaters im Mittelpunkt und in „The Burning Fiery Furnace“ schafft die Identitätsfrage der drei jungen Männer einen aktuellen Bezug, die mit Koffern in eine neue Stadt kommen und ihre Namen und Essgewohnheiten ändern sollen. Die in der Einführung angekündigte „Hi-Tech-Überraschung“ sorgt für allgemeine Aufmerksamkeit ganz am Ende in Form eines vierbeinigen, tierähnlichen Roboters, der sich selbständig über die Ackerfurchen bewegt und sich gemeinsam mit allen anderen vor Gottes Wunder verneigt – selbst die Technik wird hier Teil der göttlichen Schöpfung.
Eindrucksvoll bespielt diese Inszenierung den großen Bühnenraum mit ausgewählten Requisiten. Es gibt viel zu sehen, wirkt aber alles andere als überladen und die musikalische Leistung von Sänger:innen und Orchester ist durchgehend auf sehr hohem Niveau. So wird Schmitts Inszenierung zu einem kurzweiligen visuellen und akustischen Genuss!