Foto: "Nacht bis Acht" an der Deutschen Oper Berlin © Eike Walkenhorst
Text:Matthias Nöther, am 7. Oktober 2018
„Nacht bis Acht“ ist sicherlich eine der mutigsten Produktionen für Kinder, welche die Tischlerei, die Studiobühne der Deutschen Oper in ihrer mittlerweile mehrjährigen Existenz gezeigt hat. Man sieht schon im Geiste die angstschwitzenden Grundschulpädagoginnen und -pädagogen mit ihren Schulklassen in der Vorstellung sitzen und darüber grübeln, wie man die Nachbereitung des rätselhaften Geschehens auf der Bühne am besten bewerkstelligt. Dass hier wenig im klassisch-philologischen Sinne, und sei es mit Hilfe eines Programmhefts, „verstanden“ werden kann, dürfte vor allem Erwachsene stören. Die Kinder stört das nicht, zu Recht, denn Musiktheater und Philologie sind zwei Dinge.
Zu Beginn klaut die Elster – stumme Rolle: der Tänzer Ziv Frenkel – die Acht von der Wanduhr. Der Auftritt des Uhrmachers – der zurückhaltende Schlagzeuger Alexandros Giovanos – mit seinen subtil bedienten Instrumenten auf einem surrealistischen Fahrgestell ist der Beginn eines 45-minütigen Traums der Hauptperson Fedora in ihrem Kinderbett. Um die Mitte der dunklen Bühne sitzt das Publikum in Gruppen herum – Sitzgruppen, die den vielseitig verwendbaren Raum der Tischlerei großzügig nutzen, ebenso wie die konzentriert an einem Punkt aufgetürmte Band aus Schlagzeug, E-Gitarre, Bassklarinette und verschiedenen alt- und neumodischen Tasteninstrumenten (Elda Laro, die auch die musikalische Leitung hat).
Der Traum ist nur der Rahmen der sich überstürzenden Ereignisse, und die sind so konkret und zugleich schwerlich in einen Zusammenhang zu bringen, wie man es eben nur aus seinen Träumen kennt. Da sind neben Fedora (die junge Sopranistin Meechot Marrero) und ihrer Elster das absurd streitende Zwillingspaar Maurice und Maurice (verkörpert von den Sängerinnen Amber Fasquelle und Maiju Vaahtoluoto) sowie Thomas Lehman als „Sonnenträger“ mit goldfarbenem Wasserball in der Hand, der sich ob der wegfallenden Stunde Acht in der Zeit für den Sonnenaufgang geirrt hat.
Nur fügen Kinder dieses rätselhafte Erlebte, zumal es extensiv von der mal rhythmischen, mal sphärischen Musik des Komponisten François Sarhan durchwirkt ist, ganz sicher nicht mit Gewalt zu einem logischen Handlungsablauf zusammen. Tatsächlich bleiben die am Ende auftauchenden strengen Sheriffs in Erinnerung, die eine „Kopfkissenkontrolle“ verlangen sowie eine Taxidrehorgel, welche die bunte Truppe des Stücks nach Berlin zurückbringt – aus New York, wo man gemeinsam die Acht von der Uhr gesucht hat, wenn der Kritiker und sein genau im verlangten Alter befindliches Testkind das richtig verstanden haben. Aber „Verstehen“ ist hier nicht angesagt. Man kann das Ganze auch als künstlerisch veredelte musikalische Zirkusvorstellung begreifen, Komponist Sarhan sieht sich in der Tradition des französischen Surrealismus. Den Kindern gefällts.