Mit „They’re in your head“ entwickelt Alejandro Cerrudo mit 15 Tänzern und Tänzerinnen aus dem Dunkel heraus – nur eine Reihe von Neonröhren erhellt zunächst den Raum – eine Choreografie der schnellen Tempiwechsel, von aggressiven und zärtlichen Emotionen, immer neu formiert sich das Ensemble. Mit großer Dynamik wird da abgebildet, wie sich die Gedanken im Kopf überschlagen, sich streiten, sich neu formen und wieder chaotisch sich auflösen. Bewundernswert auch, wie es Cerrudo gelungen ist, die Bewegungsabläufe trotz der überbordenden Dynamik synchron zu gestalten. In „Sweet, Sweet“ von Johan Inger agieren zur Musik von Jeff Buckley drei Frauen in glitzernden schwarzen, bzw. einem roten kurzen Kleidern als drei Grazien. Inger ließ sich von einem Foto von Sally Mann inspirieren. Anneleen Dedroog, Francesca Ciaffoni und Garazi Perez Oloriz verkörpern mit ihren Bewegungssprachen zugleich die Zartheit wie die Kraft, aber auch das Geheimnisvolle der Frauen auf eine poetische Art und Weise. Besonders Dedroog beeindruckt durch ihre Persönlichkeit.
Seit 2006 feiert Eric Gauthier mit seinem Solo „Ballett 101“, in dem er die 101 Grundschritte des Balletts virtuos vorführt, Lacherfolge. Nun, zum 10-jährigen Jubiläum, kreiert er mit „Ballett 102“ die 102 Schritte des Pas de deux. Auf Spitzenschuhen tanzen Barbara Melo Freire und Theophilus Veselý auf Ansage die Abfolgen eines pas de deux virtuos vor. In der Wiederholung lässt Gauthier die Szene ins Surreale kippen, grandios, wie das auf Pointe gesetzt ist. Wenn er über seinen Kollegen Andonis Foniadakis, der mit „Streams“ für einen furiosen Abschluss des Abends sorgt, sagt, dass dieser „the sunny side of modern dance“ verkörpere, dann dürfte diese Position auch Gauthier für sich beanspruchen, wenn er auch in „Ballett 102“ mit dem klassischen Repertoire arbeitet. Wenn diese Choreografie sozusagen den komischen Höhepunkt des Abends bildet, dann bringt Foniadakis zur Musik von Julien Tarride mit dem Ensemble einen Energiestrom auf die Bühne, der mir als Zuschauer den Atem nicht. Schnelle Wechsel, wie aus dem Nichts, treiben die Handlung voran, in der kein Bleiben ist, nur der Wechsel, kraftvollen Aktionen mit immer neuen Anfängen, ein Perpetuum Mobile.
Erstaunlich auch, welches Händchen Gauthier nicht nur bei den Engagements seiner Tänzer und Tänzerinnen und Choreografen hat, sondern auch in seinem dramaturgischen Wissen. Der Abend ist in sich stimmig aufgebaut. Und irgendwie ist man enttäuscht, dass der Abend ein Ende hat, er hat süchtig gemacht. Kurz: „Big Fat Ten“ setzt die Erfolgsstory fort.