Foto: Unverwechselbar: Sophie Rois © Arno Declair
Text:Barbara Behrendt, am 1. Februar 2020
Als Julian Pölslers Verfilmung von Marlen Haushofers Roman „Die Wand“ 2012 in die Kinos kam, war es Martina Gedeck, die darin eindrucksvoll verhärmt und vereinsamt die Städterin spielte, die mit Verwandten ein Wochenende in deren Jagdhütte verbringen möchte – und dann mutterseelenallein auf der Alm zurückbleibt. Urplötzlich ist sie durch eine gläserne Wand vom Dorf und allen Menschen abgeschnitten. Hinter der Wand liegt der Tod. Der Erzählerin bleiben ein Hund, eine Kuh und eine Katze, mit denen sie ums Überleben kämpft.
Am Deutschen Theater Berlin stemmt jetzt eine ebenso große Schauspielerin den Klassiker als Bühnensolo: Sophie Rois. Regisseur Clemens Maria Schönborn hat dem Abend den Titel „Sophie Rois fährt gegen die Wand im Deutschen Theater“ gegeben. Es war also zu erwarten, dass die Grande Dame des nicht-psychologischen Theaters nicht die große Einsamkeitsstudie spielen würde, mit der Gedeck damals brillierte. Und tatsächlich hat Rois’ Spiel weniger als nichts mit Gedecks Interpretation zu tun, die im Film so werktreu wie möglich sein sollte.
Sophie Rois schreibt nicht einsam in der Hütte ihre Erlebnisse auf, um nicht den Verstand zu verlieren, wie in der Vorlage. Psychologischer Realismus geht der Inszenierung völlig ab. Sie sitzt auf einem Sessel an einem Wiener-Kaffeehaus-Tischchen, mondän gekleidet in Rock und Highheels, Teetasse und Aschenbecher vor sich und den Roman, aus dem sie zitiert. Ausschnitte nur, kleine Aperçus. Mehr und mehr gleitet sie in die Vorstellung, abseits der Zivilisation zu leben – schwelgerisch, mit heiterer Ironie. Ein verspieltes Märchen.
Sie legt sich quer übers Sofa, lässt sich von der Bühne im Kreis drehen und schwärmt mit ihrer unnachahmlich kecken, derben, charmanten Art von der Stille in der Natur, ihrem nun herzhaft guten Schlaf, während der chillige Jazz spielt.
Dann das Highlight: Von oben schwebt ein gigantisches Stück Erdbeertorte aus Schaumstoff auf die Bühne, ein Tortengebirge mit Schlag, das Sophie Rois mit Rucksack und Gewehr erklimmt. Später durchschwimmt sie es, knabbert daran wie Gretel am Hexenhaus. Ein imaginiertes Schlaraffenland, nach dem sich die Vereinsamte im Wald sehnt. Ein wunderbar absurdes Bild, wie Rois auf der Sahneschnitte liegt, eine halbe Erdbeere als Kissen unterm Kopf, über die Natur sinnierend.
Auf der Erzählebene ist wenig vom Roman übriggeblieben. Die Bühnenfassung hat gerade einmal 20 Seiten, der Roman knapp 300. Schönborn inszeniert ein 70minütiges kindliches Gedankenspiel: Was, wenn die Katastrophe eintreten würde? Er wirft kleine philosophische Schlaglichter: übers Schlafen, das Jagen, Verzicht, Tod, ihre Kinder, Weihnachten. Am Ende resümiert Rois: „Eines möchte ich dieser Frau, die ich mal war, zugute halten: Sie spürte immer ein dumpfes Unbehagen und wusste, dass dies alles viel zu wenig war.“
Um diese neue Identitätsfindung abseits gesellschaftlicher Dogmen kreist auch der Roman. Nur ist er von elementarer Einsamkeit, während auf der Bühne ein fröhliches „Was wäre wenn“-Spiel im Gange ist. Die Inszenierung verhält sich zum Roman wie Dur zu Moll. Wie Spiel zu Ernst.
Wenn man sich von der Vorlage lösen kann, ist das ein charmanter, unterhaltsamer, kleiner Abend mit einer spiellüsternen Sophie Rois. Mit Schönborn verbindet sie eine lange künstlerische und private Beziehung. Szenische Lesungen und Liederabende haben sie gemeinsam entwickelt – und auch hier singt Rois wohligen Austro-Pop von Wolfgang Ambros in herrlichem Wiener Schmäh und mit Zigarette im Mund.
Die großen Fragen drohen bei diesem Rois-Solo zwar manches Mal unterzugehen. Doch man verlässt das Theater beschwingt und erwärmt und dem philosophischen Gedankenspiel nachhängend.