So packend beginnt der Abend und er wird es bleiben, kurze 40 Minuten lang. Der amerikanische Choreograf – und Tänzer in seinen eigenen Stücken – bringt auf die Bühne, was dort eigentlich nicht hingehört: Distanz, Alleinsein, auch in der Gruppe, aber auch die vorsichtig-sehnsüchtige Suche nach Nähe. Die aber gibt es nur im Gleichklang der Bewegungen: Zu Harrell gesellt sich ein zweiter Akteur, tanzt wie dieser im Sitzen – aber mit größeren, weiteren Gesten; er ringt mit der Leere, Harrell scheint sie zu dirigieren. Bis alle sieben der neuen Compagnie erschienen sind, singt Joni Mitchell vom Frieden und dass sie beide Seiten der Wolken und der Liebe gesehen hat.
Neustart von Christian Watty
Dass „The Köln Concert“ diese euro-scene eröffnete, ist ein großer Schritt. 30 Jahre lang leitete Ann-Elisabeth Wolff das Leipziger Festival, das vor allem Mittel- und Osteuropa im Fokus hatte. Nun weitet der neue Leiter, Christian Watty, den Blick auf die übrige Welt und ihre gemeinsamen Probleme; die 17 Nachhaltigkeitsziele der UNO sollen eine Leitlinie werden. Da passt es gut, dass die euro-scene, finanziell lange auf wackligen Beinen, wieder in die institutionelle Förderung durch das Sächsische Ministerium für Wissenschaft und Kunst aufgenommen wurde.
Solch sicheren Boden haben die Tänzer der Zürcher Compagnie in Harrells Choreografie noch nicht wiedergefunden. Getragen von Keith Jarretts kraftvollem, manchmal nur Akzente setzenden Klavierspiel, bleiben sie Solisten. Sie erproben und zeigen, wie unterschiedlich, aber stets elegant, man auf Zehenspitzen schreiten kann.
Ein Tänzer mit wild-wuscheliger Afro-Frisur verbirgt darunter sein Gesicht, spricht nur mit seinem Körper, seinen Bewegungen. Er trägt, wie alle, Männer wie Frauen, ein schwarzes Kleid, das es, von Harrell entworfen, in allen Varianten gibt: Schulterfrei; eine behaarte Brust sehen lassend; kniekurz oder wadenlang; einen Pelzmantel übergezogen oder ein leuchtendes Shirt davorgehalten. Identitäten, Geschlechter, Ethnien lösen sich auf, werden unwichtig in dieser Gruppe von Menschen, die sich in Pandemie und Einsamkeit bewähren müssen. Am Ende versuchen sie es, zögernd, dann doch mit einer, der jetzt möglichen, Form der Nähe. Erstarrt zu griechischen Statuen, bilden sie einen ruckelnden Kreis, stellen einen der Tänzer heraus, erstarren wieder, bewegen sich erneut, bis Keith Jarretts Klavier mit leisen Klängen verweht.