Foto: Szene Mina Pecik und Felix Jordan © Björn Klein
Text:Manfred Jahnke, am 11. Juni 2024
Am Schauspiel Stuttgart zeigt Tom-Henry Löwenstrom „Liebe/Eine argumentative Übung“ der israelischen Autorin Sivan Ben Yishai. Zwischen viel Kissen und in Kostümen, die die erogenen Zonen eines Paares betonen, wird das Selbstverständnis einer Frau verhandelt.
Gerade hat sie in Mühlheim zum zweiten Mal den Mühlheimer Dramatikerpreis gewonnen. Die Stücke der in Berlin lebenden israelischen Autorin Sivan Ben Yishai werden immer öfter an den deutschen Bühnen aufgeführt – nicht nur als Uraufführung. Ihre Texte werden nachgespielt wie ihr 2019 in Mannheim entstandenes „Liebe/Eine argumentative Übung“. Nach München und Bochum ist nun das Schauspiel Stuttgart dran. Dort ist im Foyer des Kammertheaters ein Gerüst (Bühnenbild: Klara Kollmar) aufgeschlagen, das, wenn nach vorne und an den Seiten der weiße Vorhang aufgezogen wird, einem großen Bett ähnelt, zumal viele Kissen im Raum liegen.
Ein Paar und seine Probleme beim Sex
In „Liebe/Eine argumentative Übung“ wird am Beispiel der Comicfiguren Olivia Öl und dem Seemann Popeye das Selbstverständnis einer Frau verhandelt. Der Zeichner Elzie Crisler Sega hat für seine Cartoons 1919 Olive Oyl geschaffen, die dann, als 1929 zum ersten Mal Popeye auftauchte, mehr und mehr in den Hintergrund gedrängt wurde. Bei Yishai wird sie zur erfolgreichen Romanautorin und er agiert als gescheiterter Filmregisseur und Drehbuchautor. Sie ist acht Jahre älter als er, sie haben sich gefunden und doch Probleme beim Sex. Sie versteht sich als Feministin und er sich als femininer Mann. In Rückblenden rekonstruiert Olivia ihre Sehnsüchte und deren Scheitern.
Tom-Henry Löwenstrom behandelt in seiner ersten Inszenierung am Schauspiel Stuttgart den Text von Yishai als Erzähltheater mit direkter Ansprache ans Publikum. Mina Pecik als Olivia und Felix Jordan als Popeye schenken sich nichts. Sie spielen ein Paar mal mit Mikro, zumeist ohne, das sich liebt, aber sie immer mehr abdriftet. Sie fühlt dabei, wie bei aller sexueller und gesellschaftlicher Emanzipation Großmutter, Mutter und Vater, der alle Männer für „Tiere“ hält, in ihr enthalten sind. Sie versucht distanziert zu sein und ihre Prinzipien durchzuhalten, die sie jedoch nacheinander aufgibt und sich dafür immer stärker selbst hasst.
Groteske Kostüme und einprägsame Bilder
Für diesen Prozess findet Löwenstrom einprägsame Bilder: Was als ruhiger Bach beginnt, wird am Ende zum tosenden Strom – unterstützt von der Musik der Band Keine Revolte. Auch Cartoons werden eingeblendet. So kann man zusehen, wie Olivia von einem Balken auf den anderen springt.
Katharina Weis hat groteske Kostüme geschaffen, die die sexualisierten und erogenen Zonen der Körper betonen. Vor dem Höhepunkt der Krise verwandeln sie sich in gummierte Sexpuppen, können sich aber nicht mit einem solchen Spielzeug abfinden. Eingebunden ist die Handlung am Anfang und am Ende mit von Sylvana Krappatsch per Band gelesenen Auszügen aus dem Roman „Lily La Tigresse“ von Alona Kimki. In diesen wird weibliche Sexualität mit den Mythen des Tigers verknüpft, mit Macht, Schönheit und Leidenschaft.
Diese Zuschreibung prägt das Spiel von Mina Pecik und Felix Jordan. Beide haben auf jeweils einem Ohr ein rotes Herz gemalt. Sie hat einen Blutfleck im Mundwinkel (ein Kainszeichen aus dem Text von Alona Kimki). Popeye hat den ruhigeren Part in dieser Aufführung, zumal er stets auf sich selbst bezogen agiert und keine Empathie zu Olivia entwickeln kann: Frauen können Männer lieben, aber können Männer Frauen lieben? Leiden müssen die Frauen – wie Olivia.