Huldigt das Ensemble auch trostlos dem Synthetikfaser-Textildesign der 1980er Jahre (Kostüme: Anja Rabes) und ist typisierend ins ansatzweise Groteske perückt worden, geht es in den emotional aufgeladenen Situationen beängstigend exzessiv auf. Die zwanglos und doch mit Hochspannung ineinander verwobenen Handlungsstränge haben den Duktus gerade frisch gefundener Interpretation des Textes. Roh, ungekünstelt intensiv wirkt das. Auch wenn alle Schauspieler die Hilflosigkeit ihrer Figuren immer mal wieder in expressiven Gesten ausstellen oder kurz choreographierten Tanzszenen ausagieren. Dort ist jeder ebenfalls für sich, bleibt mit seinen Bewegungen allein. Beispielhaft schonungslos etwa, wie das vierte Gebot „Du sollst Vater und Mutter ehren“ neu gesehen wird: Die Tochter (Seyneb Saleh) will ihren Vater (Lukas Holzhausen) nicht nur als Vater lieben und daher zum Eingeständnis zwingen, nicht ihr Erzeuger zu sein, so dass die von ihm durchaus erwiderte Zuneigung ausgelebt werden dürfte. Mutig rennt sie verbal und physisch gegen den Mann an, trommelt auf ihren sehnsuchtswimmernden Körper und schreit: „Fass mich an.“ Bald schmiegen sich beide wild taumelnd aneinander und verknäulen sich in Inzestängsten, Vorwürfen und Schamgefühlen.
Kaum weniger eindrücklich: wie eine aus Gefühllosigkeit promisk dahinlebende Frau einen jungen Stalker, der in sie verliebt ist, einlädt, um sich an seiner Erregung zu weiden – als Beweis, es gebe nur Lust, keine Liebe. Dass das Opfer sich im Film anschließend die Pulsadern aufschneidet, benötigt die famos verklemmte Raserei-Szene des Jungen auf der Bühne nicht. Überhaupt sticht sein Darsteller Peter Fasching heraus. Auch als traumatisierter Typ, der sich seiner selbst in einer kalt und empathiefrei erlebten Welt mit einem eiskalt sinnlosen Mord vergewissert – und in Furorangst verfällt. Mit dem Gebot „Du sollst nicht töten“ konfrontieren Kieślowski/Kimmig den individuellen mit dem staatlichen Mord, der Todesstrafe. Immer komplex irritierend ist das mit den Gut- und Böse-Kategorien ausgearbeitet. Auch die Frau, die zur Illustration des Gebots „Du sollst nicht stehlen“ ihr eigenes Kind entführt, ist keine Diebin, sondern wehrt sich nur dagegen, dass man ihr das Baby einst weggenommen hat.
Zupackend inszeniert Kimmig die jeweils heillose Überforderung der Figuren, zupackend konzentriert er philosophische Fragen in seine Szenencollage „Die Zehn Gebote“. So entsteht ein Theaterabend, der auch als semiprofessioneller Mitschnitt auf dem Fernsehschirm bestens funktioniert.