Foto: Mario Schröders "Lobgesang" am Leipziger Ballett © Ida Zenna
Text:Ute Grundmann, am 7. Februar 2016
Es ist ein Abend der vielen. Der Menge, der Masse, die durchs Leben schreitet und gleitet, auf der Suche nach Freiheit und nach Befreiung, eine Gruppe, aus der sich nur wenige hervorheben. Glaube, Freiheit, Widerstand – das sind die großen Themen, die sich Mario Schröder, Ballettdirektor und Chefchoreograph der Oper Leipzig, für seinen neuen Tanzabend gewählt hat. „Lobgesang“, das ist natürlich Felix Mendelssohn Bartholdy großes Chor- und Orchesterwerk, das er mit Francis Poulencs „Figure humaine“, einer weltlichen Kantate für Doppelchor, kombiniert hat. Doch die Werke erklingen nicht nacheinander, Schröder hat sie ineinander verschränkt, im Wechsel von heiter und düster, hoffnungsvoll und verzweifelt. So entsteht fast so etwas wie eine Szenenfolge, die bald von der Freiheit im Glauben, bald von der Angst in der Unterdrückung erzählen. Denn Poulenc schrieb seine Musik auf Gedichte von Paul Eluard, über die Resistance im besetzten Frankreich.
Getanzt wird auf großer, leerer Bühne, auf der nur an der Rückwand ein großer Kasten für den Chor steht. Die Damen sind in weiße, die Herren in schwarze Anzüge gekleidet (Bühne und Kostüme Paul Zoller) – so zeitlos wie die Themen, von denen Schröder erzählen will. Und das beginnt mit Mendelssohns „Maestoso con moto“, in dem der Schlusschor schon anklingt, denn auch heiter und gelöst, mit weichen, fließenden Bewegungen der vielen Tänzer. Mit einem pas de deux heben sich einzelne heraus, verschmelzen wieder mit der Menge, die sich zunehmend abgehackter, aggressiver bewegt. Dann wirkt die Gruppe wie geduckt, bedrückt, aus der einzelne herausragen, durch Hebungen, durch einen pas de deux, auch durch ein Trio mit Hebefiguren.
Dieser Wechsel der Stimmungen, der Atmosphäre, der Klänge macht diesen Abend aus, in dem auf kleine, vorsichtige Schritte kraftvolle Bewegungen folgen, sich die Gruppe der Tänzer aber auch niederlegt, quer über die Bühne rollt, sich wieder erhebt. Manchmal läuft die Choreographie Gefahr, die Musik bloß zu illustrieren, meist aber sind die Szenen der vielen und der einzelnen sehr stimmig. Den mächtigen Schlusschor Mendelssohns hat Schröder in die Mitte des Stückes geholt, „Alles was Odem hat“ tanzen die Herren, „Lobe den Herrn“ die Damen des Balletts, um sich dann mit Poulencs „Aussi bas que le silence“ wieder dem Zweifel an der Existenz Gottes zuzuwenden.
Die Sänger (Olena Tokar und Magdalena Hinterdobler, Sopran; Martin Petzold, Tenor) bleiben unsichtbar in der Gasse, so dass ihr wunderbarer Gesang wie vom Himmel zu fallen scheint. Viel zur dichten Atmosphäre des Abends tragen auch das Gewandhausorchester unter Christoph Gedschold und vor allem der exzellente Chor (Einstudierung Alessandro Zuppardo, Jugendchor Sophie Bauer) bei. Sie malen Trauer und Hoffnung, Verzweiflung und Lobpreisung so präzise wie vielschichtig. Und nach diesem Wechsel der Gefühle endet der 90minütige Abend nicht mit dem Lobgesang, aber doch – auch tänzerisch – mit dem Streben nach Freiheit, mit Francis Poulencs „Liberté“.