Foto: Galilei (Burghart Klaußner, r.) vor dem Collegium Romanum © Sandra Then/Düsseldorfer Schauspielhaus
Text:Andreas Falentin, am 17. Januar 2020
Ein gewaltiger, schwarzer Rundhorizont schließt die leere Bühne nach hinten ab. Von links oben kommt ein langes, kreisrundes Rohr herab. Lange scheint nur aus ihm Licht zu scheinen auf Olaf Altmanns Bühne. Zu Beginn liegt Galileo Galilei in diesem Lichtkegel. Und er wird ihn an diesem Abend nur selten verlassen. Burghart Klaußner agiert gewohnt hochklassig, lässt seine Pointen trocken schnalzen und packt viel Leben und Leid zwischen die Zeilen. Er ist keine Masse Mensch, kein klassischer schwerer Männerspieler wie seine berühmten Rollenvorgänger à la Charles Laughton, Curd Jürgens, Ernst Schröder oder Ekkehard Schall. Klaußner ist eher ein Fremder in der Welt, ein schwerer, tiefer Geist und ein ernüchternd schwacher Mensch. Und er ist allein.
Das merken wir schnell. Denn all die vielen virtuos durch etliche Kostüme, Perücken, Masken, Brillen und Bärte angedeuteten Figuren bleiben ihm fern – und werden teilweise nicht einmal Figur. Oftmals schreitet einer, schreiten mehrere hinten den Rundhorizont ab, als wollten sie sich der Begrenztheit ihrer Welt versichern, in der gedacht, aber nicht ausgesprochen werden darf, was der allgegenwärtigen, allmächtigen Kirche nicht behagt. Diese wird hier personifiziert nicht im Papst, sondern im Kardinal Inquisitor. Lustvoll aalt sich Tabea Bettin in ihrem Text, entstellt absichtsvoll Sätze zu Waffen und Konsonanten zu Raubtierlauten, verführt so zur Unterwerfung unter ein entpersonalisiertes System.
Das versteht man gut, da es dem Regisseur Lars-Ole Wallburg auch gelingt, dass wir Galileis Welt, Brechts Welt mit unserer identifizieren, deren Begrenztheit doch so ganz anders geartet ist. Wenn Galilei sagt: „Ich sehe nichts mehr, ich glotze nur“, denken wir an Smartphones. Wenn Kardinäle große Worte in den Raum tropfen lassen, denken wir unwillkürlich an den Festakt zum 50. Geburtstags des Theaterbaus am Gustaf-Gründgens-Platz zwei Stunden zuvor. „Unsere Gesellschaft braucht Theater für ihren Zusammenhalt mehr denn je“, hat der amtierende Ministerpräsident des Landes Nordrhein-Westfalen da geäußert, als Höhepunkt einer gut gehaltenen, engagierten Rede, aber jetzt, bei der Premiere, ist er wie vom Erdboden verschwunden. Zumindest aus dem Zuschauerraum. Sie reden, die Mächtigen, aber sie sind nicht da. Wie bei Brecht. Und die alleingelassene Welt sackt in sich zusammen.
All das muss der große Wissenschaftler Galileo Galilei an diesem Abend ganz allein mit sich abmachen. Und wir wissen nicht einmal, ob er das überhaupt in seiner ganzen Tragweite versteht. Zu sehr ist er mit seiner Wissenschaft und mit seiner eigenen Schwäche befasst. Was wohl der Figur zugedacht ist, wendet sich an diesem Abend gegen den Schauspieler Burghart Klaußner. Weil ihm seine Mitspieler zu fern bleiben, ihm also keine wirkliche Welterfahrung und also: keine Entwicklung gestattet wird, kann er kaum vertiefen und differenzieren. Brecht hat eben kein Monodram geschrieben.
Dabei nutzt Klaußner jede kleine Chance, seiner Figur im Zusammenspiel neue Seiten abzugewinnen, etwa im Dialog mit Janko Kahles tastender Empathie oder Rosa Enskats verknoteter Gradheit. Aber das sind eben nur Momente. Selbst die Beziehung mit seinem Schüler Andrea Sarti bleibt blass. Obwohl Lea Ruckpaul schauspielerisch ebenbürtig ist und ihr als einziger, neben dem Protagonisten, ein wirkliches Figurenporträt gestattet ist. Die behauptete Jugend mit dem hochfliegenden Geist samt dazugehöriger Empfindsamkeit verkörpert sie glaubhaft. Dazu verweist Ruckpaul mit einer schon fast absurd stimmigen Step-Einlage auf das, was möglich wäre: Den Kosmos „Galileo Galilei“ durch Theaterspielen zu beleben und ihm doch den Parabel-Charakter zu lassen. Einmal dürfen sie sich kurz berühren, Galileo und Andrea. Klaußner findet des anderen Hand nicht, Ruckpaul fast schüchtern und kräftig zu. Ein Moment Leben. Und vielleicht eine wesentliche Regie-Entscheidung. Denn die Übergabe der Abschrift von Galileos revolutionärem Buch findet nicht statt. Hier hat er sich entschieden, einfach zu verlöschen. Wie die Welt. Oder man wollte einfach kein Requisit verwenden.
Brechts „Galileo Galilei“ wird am Düsseldorfer Schauspielhaus sehr gut gesprochen. Die Handlung ist bis in die kleinste Verästelung so puristisch wie verständlich erzählt, die Musik von Eisler wird von Matthias Herrmann mit vielfach verstärktem und verzerrtem Cello und dem fantastisch singenden Ensemble gültig aufgeführt (obwohl nicht wirklich zu verstehen ist, wozu sie da ist, an diesem Abend). Aber diese so deutlich gezeigte kranke, an ihrem Stillstand sterbende Welt im bleibt auf der Bühne. Sie greift nicht nach uns, sie rüttelt uns nicht auf. Sie macht uns – schläfrig.