Foto: Tanz auf der Straße in schwerer Zeit: (v.l.) Anna Fernández Guerra (Pünktchen), Dustin Drosdziok (Robert), Luzia Tietze (Anton © Paul Leclaire
Text:Andreas Falentin, am 10. Februar 2021
Eigentlich ist das eine schöne Aufführung. Die Musik von Ivan Eröd beeindruckt durch ihre Leichtigkeit, obwohl (oder weil?) die Satztechnik hörbar von der Zwölftonmusik beeinflusst ist; die Ensembles faszinieren, kommen daher wie eine Sammlung asymmetrisch miteinander verlöteter Miniaturen und sind doch glasklar im Klang; und die 14 Musiker des Gürzenich Orchesters formulieren das unter Harutyun Muradyan nicht nur plastisch aus, sondern mischen sprühenden Wiener Kaffeehaus-Charme dazu. Dazu erfreuen sämtliche Solistinnen und Solisten mit attraktiven Stimmen (besonders Luzia Tietze als Anton prägt sich nachhaltig ein), biegsamem Parlando und geschmackvoll hingetupften Ausbrüchen. Und Brigitta Gillessen und ihr Ausstatter Jens Kilian bringen das optisch attraktiv auf die von wechselnden Architekturelementen dominierte große Bühne im Staatenhaus. Die gelegentlich auf halber Höhe vorbeipreschende Bahn ist sogar ein echter Hingucker.
Allein, was bleibt? Natürlich spielt Erich Kästner in seinem 1931 erschienenen Kinderbuchklassiker mit Märchenmotiven samt erlösendem Happy End. Aber es war ihm schon lesbar darum zu tun, auf die Grausamkeiten jener Zeit hinzuweisen, auf Massenarmut, Standesdünkel und soziale Ungerechtigkeit. Diese Motive kommen zwar im Text vor, jedoch kaum im Spiel. Der Raum ist immer weit, die Kinder sind immer fröhlich und gut angezogen. Natürlich, bei Antons hängt ein 50-Cent-Geschirrtuch am Küchenhaken, aber so allein, dass dieses Zeichen kaum zu lesen ist, und definitiv nicht von Kindern. Auch die historische Einordnung in die Entstehungs- und Handlungszeit, vor allem durch Kilians Kostüme, scheint der gesellschaftlichen Einordnung und Haltung eher im Wege zu stehen. So bleiben Milieu und soziale Konflikte Behauptung. Einzig der ausstrahlungsstarken Eva Budde, eine Chorsängerin der Oper Köln, gelingt es, in Spiel und Gesang darzustellen, dass der Klassismus keine neue Erfindung ist.
Allerdings sind die Bedingungen für eine nicht verharmlosende Inszenierung nicht eben günstig. Eröds Partitur ist zwar, wie beschrieben, akustisch enorm attraktiv, leistet aber dramaturgisch so gut wie nichts. Die großen Tableaus werden vor allem musikalisch illustriert, Entwicklungen der Figuren, ihre Beziehungen untereinander oder gar eine rhythmische und dynamische Akzentuierung des Plots kommen in dieser Musik nicht vor. Alles bleibt so statisch, dass ein Dialog zwischen den beiden Titelfiguren vorgeschaltet wird, in denen sie 3/4 der Geschichte bereits erzählen. Nach eigenen Aussagen anlässlich der Wiener Uraufführung 2010, wollte Eröd vor allem auf Komik setzen, was sich leider nur in einer einzigen Szene mitteilt. Da versucht der Vater, mit elegant strömendem Bariton: Stefan Hadzic, sich vor einem Opernbesuch zu drücken, was auf der Opernbühne fast zwingend komisch ist. Aber auch für Kinder?
Dazu kommt, auch wenn es niemand von uns mehr hören oder lesen mag, das pandemiebedingte Abstandsgebot. Die Köchin muss den Einbrecher aus zwei Metern Entfernung mit dem Nudelholz bewusstlos schlagen, der böse Rober sein Fräulein Anfang aus weiter Ferne schlecht behandeln. Besonders letzteres führt dazu, dass beide Figuren extrem blass bleiben, eben, weil ihr Verhältnis zueinander nicht ausformuliert wird oder werden kann.
Und schließlich sind wir nicht im Theater. Wir sind im Stream, im Film. Nicht, dass die Kölner Film-Firma Schnittmenge, die am Ende des Abspanns kurz aufscheint, aber seltsamerweise nicht im Programmheft erwähnt ist, einen schlechten Job gemacht hätte. Aber die Inszenierung, bei der seit Wochen klar war, dass die Premiere in der Stream-Version stattfinden würde, ist rein theatralisch gedacht. Und vieles, was auf der Bühne ganz normal funktioniert, etwa Nicht-Flüssigkeit aus einer Flasche in ein Glas zu schütten, heischt im Film Legitimation.
Aber eine Krise ist eine Krise ist eine Krise. Erfreuen wir uns daran, dass die Bühnen so vielfältig senden. Schauen wir zu, versuchen, wir beieinander zu bleiben und nicht zu kritisch zu sein, was auch schwer fällt. Erfreuen wir uns an der Musik und hoffen und setzen wir uns dafür ein, dass es die Theater bald den Friseuren nachtun dürfen. Denn eigentlich ist doch unter den Haaren wichtiger als darüber.