Foto: Die Sängerin Karine Minasjan (Recha) und der Schauspieler Christoph Heckel (Elijahu) in der Uraufführung "Nathan und seine Kinder" © Candy Welz
Text:Ute Grundmann, am 2. Februar 2018
Der Tempelherr kniet betend auf einer (Kirchen-)Bank; neben ihm spricht Recha, in Trauer tief verschleiert, ihre Worte zu Gott; Sittah schließlich breitet ihren Gebetsteppich aus, kniet darauf, steht auf, korrigiert ihn gen Mekka und kniet wieder. Dies ist eine der nicht wenigen eindringlichen Szenen in einer Musiktheaterproduktion der besonderen Art. Denn auf der Studiobühne des Deutschen Nationaltheaters unternimmt man den Versuch, die Geschichte und Bedeutung Nathans des Weisen jungen Zuschauern ab 12 nahezubringen. Mit Schauspiel, Musik, Gesang und Sprache, basierend auf dem klugen Roman von Mirjam Pressler.
Auf die kleine, niedrige Bühne unter dem Dach hat Philip Rubner eine Mischung aus Tempel und Palast gebaut: Drei schöne, verschiedene Bögen, ziselierte Gitter wie im Serail. Die Menora, der siebenarmige Leuchter, ist ebenso zu finden wie Sultansgewänder. Hier läßt Dramaturgin Kathrin Kondaurow, die das Buch zum Theatertext gemacht hat, die Handlung mit dem Tod Nathans beginnen. Elijahu (Christoph Heckel) wiegt seine Jacke in den Armen wie den Körper des Erstochenen, trauert um einen Freund und ein Idol. Nathans Tochter Recha (Karine Minasyan) zerreißt es fast vor Schmerz; die Sopranistin aus Eriwan singt das so bezwingend expressiv, wie sie später mädchenhaft leicht klingen wird, als sie langsam ins Leben zurückfindet.
Sie alle, wie auch Sittah (Simone Müller), die mal fromm betet, mal lasziv in einem Modejournal blättert, versuchen, in drei Religionen zu Hause, Nathans Idealen und Vermächtnis zu folgen, aber auch zu einem eigenen Leben zu finden. Und so deutet sich auch eine Liebesgeschichte an, als der Junge Geschem (Henry Neill) auftaucht, der, namenlos, seinen Namen von Nathan bekommen hat. Oder war es Elijahu? Denn Christoph Heckel ist, wunderbar, beides: Der weise Nathan der Erinnerung, aber auch der nicht minder weise Elijahu, den er leise, beeindruckend präsent und liebevoll-mild darstellt. Regisseurin Geertje Boeden hat das in 90 Minuten poetisch, dicht, ohne Pathos, nah an den Figuren und der Musik inszeniert.
Dazu sind die Klänge überzeugend mit der Handlung verzahnt: Das Amalia Quartett (Barbara Seifert, Astrid Schütte, Almut Bormann, Astrid Müller) spielt André Kassels sinnlich-sinfonische Komposition mal als Unterstützung der Akteure, setzt bald wilde, bald zarte Akzente mit Streichen und Zupfen in die Aufführung. Da hinein sind die Electronics von Paul Hauptmeier und Martin Recker gewebt: mal treibende Linien, mal knisternde Grammophonklänge. Aber es wird auch deutlich Theater gespielt: Mit Kettenhemd und langem weißen Mantel zieht Jörn Eichler sich den Tempelherrn an; Christoph Heckel legt mit Umschlagtuch und Kippa den Nathan ab.
Eine Musik-und-Schauspiel-Wunderkiste also gerade für die Schüler unter den Zuschauern, von denen kaum mal ein Füßescharren zu vernehmen war. Doch der Wermutstropfen kam mit dem Ende, denn da werden die Merk- und Stanzsätze „Liebe ist ein starkes Band“ und „wir haben einen Traum“ so oft wiederholt, bis sie in den Kopf jedes Zuschauers gehämmert sind. Und dann begeben sich alle gemeinsam zum Abendmahls-Picknick mit Tupperdosen auf dem Tisch. Schade. Der so eindringlichen Inszenierung, die Haltung, aber nie den Zeigefinger zeigt, wäre ein überzeugenderer Schluß zu wünschen.