Foto: Gabriele Heinz in "Muttersprache Mameloschn" am Deutschen Theater Berlin. © Arno Declair
Text:Barbara Behrendt, am 10. September 2012
Drei Frauen, drei Leben, drei Generationen – und auf der Bühne, die mit alten Möbeln vollgestellt ist, alles dreifach: Lampen, Tische, Stühle, Sessel. Zwischen, auf und in ihnen bewegen sich Großmutter Lin, Mutter Clara und Tochter Rahel, als seien sie selbst so ein mehr oder weniger abgenutztes Möbel, leicht verrückbar, ohne sicheren Standort. Nikolaus Frinkes Bühne spiegelt prägnant die Positions- und Identitätssuche, die Marianna Salzmann, Kleistförderpreisträgerin 2012, in ihrem neuen Stück „Muttersprache Mameloschn“ angeht. Drei Spielarten jüdischer Lebensformen in den Turbulenzen der deutschen Geschichte zwischen Faschismus, Sozialismus und Bundesrepublik beschreibt die 27jährige Salzmann, die sich als politische Autorin versteht. Großmutter Lin, in der DDR überzeugte Kommunistin und als reisende Sängerin Vorzeige-Jüdin der Partei, fühlt sich ganz der jüdischen Kultur zugehörig. Mutter Clara will assimiliert, aufgeklärt und deutsch sein – aber keinesfalls die „jüdische Folklore“ ihrer Mutter mitspielen. Rahel dagegen drängt es hinaus aus der matriarchalischen Familienenge, in die Metropole und, nicht ganz zufällig, auch ins Zentrum des westlich-jüdischen Lebens: New York. Die Konflikte zwischen zwei Müttern und zwei Töchtern stehen im Raum – wie soll und will jede leben, als Jüdin, als Deutsche, als Frau?
Salzmanns Kammerspiel ist reich an scharfem, jüdischem Witz und pointierten Dialogen. Es spielt in der psychologischen Intimität des Wohnzimmers, wagt aber den gesellschaftlich-politischen Blick hinaus. In Zeitsprüngen und unterbrochen von Briefen an Rahels ins Kibbuz ausgewanderten Bruder, entwickelt die Autorin drei Figuren, die alle prototypisch für eine Lebenshaltung stehen. Die junge Regisseurin Brit Bartkowiak, zuvor mit kleineren Arbeiten in der Box betraut, inszeniert unauffällig, aber durchaus klug in ihrer Zurückhaltung. Ein schönes Beispiel für eine textdienliche Arbeit, die ein neues Stück bei der Uraufführung nicht begräbt, sondern belebt. Bartkowiak inszeniert nicht durchweg im psychologischen Realismus; vor allem Anita Vulesica als Mutter Clara führt sie bis ins Theatralische und in die schrille Komik. Als überspannte Sorgenmutter mit Migräneblick und steifer 50er-Jahre-Tolle sorgt Vulesica für punktgenaue Situationskomik – manchmal wird es zu schräg, so wenn sie vor Prüderie gar nicht weiß, wie man das nennt, wenn die Tochter Frauen liebt. Ganz anders Gabriele Heinz, seit bald 40 Jahren Ensemblemitglied am DT: Fast altmodisch-sorgfältig wirken ihre Gesten als Diven-Großmutter – aber das passt gut zur Rolle. Eine dritte Spielweise fügt Natalia Belitski, die Jüngste, hinzu: etwas linkisch, kantig, die Hände in den Taschen, erzählt sie jüdische Witze am Bühnenrand, der Zorn auf ihre Mutter überkommt sie heftig, wie ein Anfall. Drei Frauen, drei Lebensalter, drei jüdische Biografien – und auch drei unterschiedliche Sprach- und Ausdrucksweisen. Hier ergibt das einen witzigen, klugen, politischen Abend.