Foto: Jonas Böhm, Monika Reinhard, Sara-Maria Saalmann, Emma McNairy © Christina Iberl
Text:Roberto Becker, am 1. Juni 2024
Das Meininger Staatstheater holt mit „Una cosa rara“ eine Inszenierung hervor, die ihre Wiederbelebung vor allem im Bühnenbild erfährt. Die immer wieder an Mozart erinnernde Oper von Vicente Martín y Soler erzählt die Geschichte von Freundinnen, die sich gegen Eroberungsversuche wehren.
Im „Don Giovanni“ haben Mozart und sein Textdichter Lorenzo Da Ponte gleich zwei direkte Verweise eingebaut, die sich auf andere Werke des Librettisten beziehen. Der eine auf Cherubinos „Voi che sapete“ aus „Le nozze di Figaro“. Wenn diese Melodie anklingt, ist das heute ein hübscher Déjà-vu-Effekt für jeden Mozartfreund. Der andere Hinweis aber nennt „Una cosa rara“ (Der seltene Fall) des Mozartzeitgenossen und -konkurrenten Vicente Martín y Soler (1754-1806) beim Namen. Wenn die Bühnenmusik die Melodie des Sextetts „Oh quanto un si bel giubilo“ zitiert, kommentiert Leporello das mit den Worten „Bravi! Cosa rara!“. Zumindest das Meininger Publikum weiß seit der jüngsten Premiere jetzt nicht nur so ungefähr, sondern genau, was Leporello damit meint.
Das 1786 uraufgeführte Dramma giocoso hatte in Wien einen so durchschlagenden Erfolg, dass es sogar Mozarts „Figaro“ aus dem Spielplan verdrängte. Bei den Werken des Spaniers fand der durchaus kunstsinnige Kaiser Joseph II. nicht, dass es zu viele Noten enthalte, wie der Monarch Mozart ja vorgehalten hat. Die Nachwelt hat dieses Urteil des Zeitgeschmacks gleich so gründlich korrigiert, dass nicht nur das Werk, sondern auch der seinerzeit populäre Komponist fast gänzlich in der Versenkung verschwanden.
Der Klang seiner Zeit
Die Meininger Premiere der bereits vor 6 Jahren für Regensburg erarbeiteten Inszenierung ist also quasi immer noch eine Ausgrabung. Was an sich schon verdienstvoll ist. Musikalisch erinnert sie daran, dass auch das Genie Mozart nicht vom Himmel gefallen ist oder in konkurrenzfreier Umgebung komponiert hat. Es ist ein Abend, bei dem man dauernd versucht ist, die Mozartoper zu identifizieren, nach der es gerade klingt. Und da findet sich einiges. Es ist halt der Sound der Zeit. Und auch, wenn da alles betont heiter und beschwingt klingt, bleibt es eine vorrevolutionäre Epoche. Selbst wenn der Adel hier nur im Spiel seiner eigenen höfischen Welt in ein erfundenes einfaches Arkadien entflieht. Der Widerschein der Epochenwende freilich wetterleuchtet in Mozarts „Figaro“ um einiges deutlicher, als in „Una cosa rara“. Bei einem Vergleich der Werke fällt das Ergebnis bei Text und Musik heute ziemlich eindeutig aus.
Der damalige Erfolg liegt wohl auch an der vergleichsweise die Gemüter beruhigenden Harmlosigkeit des Stoffes und der süffigen Musik, die ohne allzu scharfsinnige subversive Hintergedanken auskommt. Ihr pures Unterhaltungspotenzial freilich hat sich erhalten. „Una cosa rara“ wird keinen Mozart ersetzen, aber ergänzen, freundschaftlich konfrontieren (und den dann noch heller leuchten lassen).
Königliche Unterhaltung
Noch dazu, wenn es von so virtuosen Kehlen wie in Meiningen zum Leben erweckt wird und sich die Hofkapelle so lustvoll auf dieses Klingt-fast-wie-Mozart-Schmankerl einlässt wie unter Leitung von Chin-Chao Lin. Das fängt bei Emma McNairys wahrhaft königlichem Auftritt als Isabella und dem von Mykhailo Kushlyk als ihrem Sohn Prinz Giovanni an und lebt vor allem vom ausgelassenen Gesang von Monika Reinhard und Sara-Maria Saalmann als die jungen Bäuerinnen Lilla und Ghita. Vor allem Lilla hat den Avancen des Prinzen und seines Höflings Corrado (Tobias Glagau) zu widerstehen. Am Ende triumphiert, nach Zwischenspielen der Eifersucht, die Liebe zu ihren Männern Lubino (Jonas Böhm) und Tita (Tomasz Wija).
Das ganze Schäferspiel ist eigentlich eine im Stück inszenierte königliche Unterhaltung, erinnert an die Landidylle, die sich Königin Marie-Antoinette mit einem nachgebauten Bauernhof einrichten ließ. Wenn die Königin in einer großen Arie singt „Warum darf nicht jeder sein Schicksal in die eigenen Hände nehmen?“, dann erreicht das tatsächlich musikalisches Mozartformat, offenbart aber auch, wie der vorrevolutionäre Hochadel seinen eigenen Illusionen auf den Leim gegangen ist und den Kontakt zum wirklichen Leben der Bauern verloren hatte. Diese Königin hätte wohl auch empfohlen, Kuchen zu essen, wenn man ihr vom Mangel an Brot berichtet hätte (wie es Marie-Antoinette hartnäckig nachgesagt wird).
Das Ensemble in den hohen Baum- und Heckenkulissen. Foto: Christina Iberl
Die Ausstattung der Inszenierung
Wie dem auch sei: der eigentliche Coup der Ausgrabungsinszenierung von Andreas Baesler bzw. ihrer Meininger Wiederbelebung ist die Ausstattung. Die stammt nämlich von Markus Lüpertz und erweist sich nicht nur als eigenständiges, sozusagen dreidimensionales Kunstwerk des Malerfürsten. Er hat tatsächlich einen für diese Musik genau passenden Raum geschaffen, der dem Werk gerecht wird, weil er die Leichtigkeit und das geradezu beschwingte der Musik aufgreift und sie gleichsam mit Ironie eine Handbreit über dem Boden schweben lässt, dem Spielwitz Raum und Form gibt, ohne zu denunzieren. Er hat eine als solche immer erkennbare bemalte hohe Baum- oder Hecken-Kulisse geschaffen, die an ein königliches Freilufttheater im Park erinnert. Mit blauem oder rotem Himmel oder hereinlugenden Dämonen im Hintergrund. Mit einem hineinfahrenden Bauernhäuschen und einer ganzen Wildschweinfamilie, die der Königin zur Jagd präsentiert wird. Und mit Schafen und Hirten. Natürlich hat Lüpertz auch die Kostüme vor allem bemalt. Farbenfroh bunt für die Bauern, eher streng schwarz-weiss für den Adel. Lüpertz hat dafür gesorgt, dass zum Hörvergnügen auch noch ein opulentes Fest für die Augen dazukommt.