Party im Elysium

Jean-Philippe Rameau: Castor et Pollux

Theater:Staatstheater Meiningen, Premiere:21.02.2025Regie:Adriana AltarasMusikalische Leitung:Christopher Moulds

Adriana Altaras Personenregie, Roman David Rothenaichers Chor und der von Tony Cragg konzipierte Raum sind in „Castor et Pollux“ am Staatstheater Meiningen einzigartig schlüssig. Die Rameau-Oper über Bruderliebe, Unterwelt und Unsterblichkeit steigert sich bis ins Phantastische.

„Venus, o Venus, du musst den Gott des Krieges in Ketten legen: Er bringt der Erde Frieden, wenn er sich deinem Gesetz unterwirft.“ Mit derartig schwerem Verbalgeschütz beginnt in Meiningen Jean-Philippe Rameaus Tragédie lyrique „Castor et Pollux“. Eigentlich spielen auch noch mehr Götter als „nur“ Chefgott Jupiter (der am Ende als Deus ex machina für eine Art Happyend sorgt) und der diensteifrige Mercure mit. In Meiningen gibt es aber eine nochmal konzentrierte Fassung der Rameau-Oper, die bei ihrer Uraufführung 1737 fünf Akte und einen Prolog mit den damals üblichen allegorischen Zutaten hatte. Für die zweite Fassung 1754 ließ schon der Komponist selbst den Prolog weg.

Der Meininger Intendant Jens Neundorff von Enzberg hat da nochmal Hand angelegt und eine sehr publikumsbekömmliche Spielfassung daraus gemacht, die mit Pause nur zehn Minuten über der Zweistundengrenze liegt. Kann sein, dass Puristen jeden Strich bedauern, den heutigen Seh- und Hörgewohnheiten kommt das aber entgegen. Zumal auch der mit dieser Oper praktisch vertraute und als Barockspezialist geschätzte Christopher Moulds mit der Hofkappelle sich nie nur im Schwelgen verliert, sondern auf pointiertes Musizieren und packenden Handlungsfortschritt setzt. Mit seinem Dirigat erweist er dem hierzulande nur selten zu hörenden Händelzeitgenossen Rameau  (1683-1764) einen Dienst. Lässt ihn sozusagen neben dem deutsch (britischen) Barockmeister schlechthin überhaupt mal zu Worte kommen.

Bildhauer Superstar

Wenn schon die „richtigen“ Götter auf der Bühne diesmal Mangelware sind, so hat vor allem ein Superstar der bildenden Kunst seinen großen Auftritt. Und das ist der Bildhauer Tony Cragg – der in seinem ersten Bühnenbild überhaupt, nach der Pause mit fünf seiner typischen, aus jedem Oberflächenlot geratenen, Bewegung einfrierenden, Profile kombinierenden, allemal für sich selbst stehenden Säulen den Raum dominiert. Eigentlich imaginiert er jenes Elysium, in dem sich alle in Bademänteln intensiv mit demonstrativem Nichtstun Scheinbeschäftigten zu Tode langweilen würden, wenn sie es nicht schon wären.

Castor et Pollux Meiningen

Laura Braun, Chor. Foto: Christina Iberl

Wie Regisseurin Adriana Altaras (die aufs Heute verweisenden Kostüme steuert Nina Lepilina bei) mit ihrer lebendigen Personenregie für die Protagonisten und den von Roman David Rothenaicher einstudierten, ausnehmend spielfreudigen Chor von der einen Seite und Cragg mit den sich zum Raum weitenden Skulpturen sozusagen von der anderen Seite aufeinander zugehen und zu etwas Eigenem, Ganzem werden, fasziniert in seiner Schlüssigkeit. Cragg hatte schon im ersten Teil als Zeichner mit grafischem und Raumgespür mit wunderbar flächig ornamenthaften, farbig changierenden Mustern das Geschehen gleichsam illustriert und kommentiert. Da hatte auf Erden das Drama seinen Lauf genommen.

Überforderung und Unsterblichkeit

Aus Bruderliebe, Tod und vergeblichem Begehren des unsterblichen Pollux nach seines ermordeten Halbbruders Castor Frau Télaïre. Tomasz Wija verkörpert glaubhaft die von der Regie intendierte Überforderung von Pollux, die mit seiner Unsterblichkeit verbunden ist. Emma McNairy spielt für das Muster an Treue, Télaïre, all ihre charismatische Bühnenpräsenz voll aus. Aleksey Kursanov überzeugt als ihr sich in der Unterwelt langweilender Castor.

Die effektvollen Überblendungen der elysischen Skulpturen mit den zwischen abstrakt und opulent changierenden, quasi irdischen Ornamentvarianten wirken wie eine ästhetische Synthese der beiden Welten, zwischen denen es hier hin und her geht. Zum Finale hin eskaliert das opernhaft Phantastische. Als Pollux einsieht, dass er bei Télaïre keine Chance hat, will er mit Castor seinen Platz in der Unterwelt tauschen. Ein Angebot, das der wiederum ausschlägt und sich auf einen kurzen Abschiedsbesuch auf Erden beschränkt. Bei so viel Bruderliebe hat Jupiter (Selcuk Hakan Tiraşoğlu) ein Einsehen, teilt die Unsterblichkeit unter den Brüdern und räumt ihnen einen Logenplatz mit eigenem Sternbild am Firmament ein. So kann es gehen. Auch Télaïre bekommt ihren Sternenadel. Nur die Gattin von Pollux Phébé hat das Nachsehen, weil Pollux immer schon scharf auf seine Schwägerin war. Die Verschmähte bringt sich um und landet dann wirklich in der Unterwelt. Was von Sara-Maria Saalmann mit einer vokalen Glanzleistung konterkariert wird. Bei der ausgelassenen Party für alle im Craggschen Elysium ist sie freilich mit dabei. Den inszenierten Jubel auf der Bühne setzten dann die Zuschauer im Saal ausgiebig fort.