So eröffnet das Hessische Staatsballett, das die Staatstheater in Wiesbaden und Darmstadt bespielt, seine Saison 2024/25 mit einem Knüller und einer düsteren, etwas unvollkommenen Suchbewegung.
Vor einem Bild aus Flecken und hellen Stellen, einer zerstobenen Landschaft, baut sich zuweilen eine Skulptur auf. Ein kaputter Baum, eine Gruppe angesichts einer Katastrophe. Die aneinandergeschmiegten Menschen lösen sich, das Gebilde zerfließt, einer bleibt allein. Ramon John, der die Mittelpunktfigur verkörpert, macht sich auf den Weg, pantomimisch auf der Stelle, den Kopf zur Landschaft gewendet. Hände wachsen in die Luft, als Kräfte oder Keimlinge. Oder die Tanzenden heben jemanden, um die Höhe zu gewinnen, Luft, Licht. Kurz bebt jemand, zittert, rennt im Kreis oder bettet den Kopf eines oder einer Liegenden aufs eigene Bein. Daneben zwirbeln und wehen die Duette und Trios, feiern Schwung.
Auf Asche
Xie Xins Studio in Shanghai war abgebrannt; das Erlebnis habe sie zu dem Stück inspiriert, erklärte sie. Manchmal ähneln die Tänzer:innen Flammen, während Sylvian Wangs Musik faucht, später Regen spendet und Klaviertöne. Ein Knick, dann strömen Körperglieder in Kurven. Das fast Konkrete zu mischen mit Atmosphärischem, wie an Ramon Johns Stelle plötzlich eine Tänzerin steht oder ihn Marcos Novais verdoppelt, wie sich das Nicht-Stehen-Bleiben verteilt im Raum, da zeigt sich die Könnerin Xie Xin. Doch ist die Kostümwandlung von flatterig zu eng und beinfrei unnötig; und um nicht das Gefühlige zu streifen, bräuchte der zerbrochene Schönheitssinn mehr Zeit. Oder Zauber.
Xie Xin schuf hiermit ihre dritte Choreografie für die Hessen. Für Imre und Marne van Opstal ist es die zweite. Ihr „I’m afraid to forget your smile“ erhielt 2023 eine FAUST-Preis-Nominierung. Nachdem sie Anfang 2024 am Schauspiel Bochum mit „Voodoo Waltz“ die Genres vermischten, spendieren sie „I am Bob“ einen Hauch Theatralik.
Tür auf! In scheinbar endloser Reihe tappen gleich gekleidete Tänzer:innen durch die Öffnung oben rechts. Treten in eine Welt aus Stufen. Das großartige Bühnenbild schuf Tom Visser, wie auch das Lichtspiel aus Weiß, Schattig und Rot-Tönen. Alles läuft: im Gleichschritt mit gewinkelten Armen und dem komischen Absacken des je dritten Schrittes, vorwärtsschreitendes Abwärts, bei dem auch rückwärts vorangeschritten wird. Der titelgebende „Bob“ meine einen Allerweltstyp, so die Opstals. Dieser Funktionierende, zunächst brav geschäftig, nutzt die Stufen als Treppen, aber auch zum Sitzen, wie Publikum, zum erstarrten Lungern und Liegen und für mechanische Reihen, in denen Oberkörper hoch- und runterklappen oder zur Seite biegen. Arme und Beine fahren aus. Augen stieren zum Himmel, zu Boden, ins Nichts, zum Mit-Bob.
Abmarsch
Die Choreografie hängt dramaturgisch etwas durch. Doch Amos Ben-Tals Elektrokomposition lässt mit ihrem Beat nicht locker. Wie Wachleute steht die tumbe Bobschaft mal da, Hände vorm Schritt, mal turnt sie, boxt, stampft, stürzt. Reckt Hände hoch wie zur Meldung. Hier! Ich! Scheut kein Kopfüber, bildet Reihen, Klumpen, Minipaartänze. Stehauf-Bobs.
Sie reißen die Münder auf. Schert einer aus, balanciert auf einem Bein, schraubt sich in Höhe und Breite oder streckt sich ballettös, gemeindet er/sie sich danach wieder in die Menge ein. Als wäre nichts gewesen. Das passt in die Zeit von Kriegen. Augen rechts, Augen links, Augen zu. Wieder auf und Weitermachen. Und zum Kafka-Jahr gehört das Tor. Nur diesmal ohne Türhüter. Bob ist unersättlich, doch das sagt ihm keiner.