Vom Rubikwürfel zum Baseballschläger

Shakespeare, The Tiger Lillies: Hamlet

Theater:Staatstheater Cottbus, Premiere:29.03.2025Regie:Armin Petras

Armin Petras inszeniert seinen „Hamlet“ als Text-, Ton- und Bildgewitter hart an der Grenze zur Überforderung. Der Abend  am Staatstheater Cottbus wird seinem Untertitel „Ein irres Rock-Vaudeville“ gerecht. Gleichzeitig wird das Stück in die Zeit um die deutsche Wiedervereinigung versetzt.

Vielleicht sollte man das einfach einmal ernst nehmen. Da untertitelt Armin Petras seinen neuen Cottbuser Hamlet mit „Ein irres Rock-Vaudeville“. Und wenn schon von „irre“ die Rede ist – warum dem nicht mal Glauben schenken? Warum sich also die Mühe geben, in diesem Wahnsinn, der da gut 90 Minuten auf der Bühne des Staatstheaters abläuft, Methode zu erkennen? Vielleicht ist es einfach nur der Fiebertraum eines Irren?

Doch auf solch einfaches Hinnehmen der Gegebenheiten ist das menschliche Gehirn nicht eingerichtet. Es – und erst recht das des Kritikers – will Muster erkennen, verknotete Gewebe entwirren, lose Enden zusammenführen. Also schnappt man erstmal nach den Fäden. Da findet sich zunächst Hamlet, die alte Geschichte von Shakespeare, hier in der klassischen Schlegel-Übersetzung, wenngleich stark zusammengedampft. Versetzt ist sie mit Textteilen der „Hamlet-Maschine“ von Heiner Müller, aber auch dem einen oder anderen familiären Alltagssprech.

Musik der The Tiger Lillies

Die Handlung antreibend, findet sich die Musik des Konzeptalbums „Hamlet“ der britischen Kunstband The Tiger Lillies aus dem Jahr 2012, auch diese allerdings als „Best of“: Statt 19 gibt’s nur zehn Songs des Albums. Dafür kommen mit „Danced all Night“ (von Gossips „Heavy Cross“ überlagert) und „Thousand Violins“ zwei andere aus dem Vaudeville-Repertoire der Band hinzu. Die Musik ist arrangiert von Miles Perkin, die Texte sind mal deutsch, mal englisch, mal russisch gesungen und im gleichen Sprachenwirrwarr übertitelt. Diese vier Textebenen setzt Petras gemeinsam mit Bühnenbildner Julian Marbach in die Kulisse eines heruntergewirtschafteten Volkseigenen DDR-Betriebs zur Zeit der politischen Wende 1989/90. Hinzu kommen Kostüme, die zwar Philipp Basener zugeschrieben werden, aber direkt dem Originalfundus des West-Berlin Musicals „Linie eins“ aus den späten 1980ern entnommen zu sein scheinen. Und auf eine Wellblechwand werden Videos projiziert von toten Königen und Lebensvisionen.

Hamlet am Staatstheater Cottbus

Ophelia (Nathalie Schörken) und Hamlet (Johannes Scheidweiler) müssen sich in der neuen Zeit zurechtfinden. Foto: Bernd Schönberger

Das Ganze ergibt ein Text-, Ton- und Bildgewitter, das hart an der Grenze zur Überforderung wandelt. Es spiegelt damit die Zeit, in der Petras seinen Hamlet spielen lässt: „die Wende“. Und die beiden Male, wo die Silben (einmal als „Die Wände“) auf der Bühne fallen, muss danach eine bedeutungsschwangere Pause gesetzt werden. Hamlets Eltern waren die Werkleiter des VEB, Hamlet ist ein Heimkehrer in eine eigentlich tote Oststadt. Ophelia wartet hier auf ihn, eine geglückte Beziehung, in der das Paar gemeinsam einen Kinderwagen durch Plattenbausiedlungen schiebt, wird im Video imaginiert. Es wäre ein Rückzug ins Private, nicht unüblich für die Nachwendegeneration.

Rubik-Würfel und Baseball-Schläger

Doch der ist dem Paar nicht vergönnt: Hamlets Vater ist tot, stattdessen inspiziert erst die Treuhand das Betriebsgelände, bevor der Wessie Klaus – mit Olaf-Marschall-Gedächtnisfrisur – den Platz an der Seite von Hamlets Mutter einnimmt. Hamlet ist das ein Greuel: Schnell wechselt sein Begleit-Accessoire vom Rubik-Würfel der 1980er auf den Baseball-Schläger der frühen und mittleren 1990er Jahre. Auch all die anderen Figuren versuchen, sich an die Transformationen des Zeitenwandels anzupassen: Horatio, hier als eine Freundin Hamlets durch Lucie Luise Thiede dargestellt, gelingt ein kleiner, feiner Aufstieg, während Ophelias Vater Polonius – gespielt von Kai Börner – vom hochdekorierten Mitarbeiter des VEB zum Arbeitslosen herabgestuft wird: der typische Wendeverlierer.

Klaus (Markus Paul) erfreut sich zunächst an Gertrud (Sigrun Fischer), bevor diese ihm zu langweilig wird, was durch zusätzliche Frauen kompensiert wird. Der neue König zerschlägt den VEB und stellt auf dessen Gelände die Container-Filiale einer West-Bank, wie es sie in den Wendezeiten im Osten zuhauf gab. Zur Eröffnung werden Bananen und Sparbücher im Publikum verteilt, bevor Hamlet die Party mit einem Brandsatz jäh beendet. Ophelia hat sich da der neuen Zeit schon entzogen.

Es ist ein Bild der deutschen Wiedervereinigung als Farce, in der kein Klischee ausgelassen wird. Sie wird ausgetragen auf dem Rücken der Ostdeutschen. Dass König Klaus hier die größte Lachnummer ist, die sich im „Sein oder Nicht-Sein“-Monolog zum Lebensphilosophen aufschwingt, macht es nur in Spuren erträglicher.

Percussiontricks

Die Musik der Tiger Lillies wirkt in dieser Farce am rechten Platz: Mal als Solo durch die unterschiedlichen Figuren – herausstechend hier Johannes Scheidweiler als geschundener Hamlet am Bass und die eher verzweifelt schreiende denn singende Nathalie Schörken als Ophelia -, begleitet nur von Miles Perkin. Mal als große, choreografierte Ensemble-Nummer, bringt diese Musik Energie und einen roten Faden ins Gewirr. Da wird vor allem percussionistisch in die Trickkiste gegriffen: Die Urne mit der Asche von Hamlets Vater wird ebenso zum Rhythmus-Instrument wie Yorricks Schädel, es wird mit den Füßen gestampft und ein Fass malträtiert und zusätzlich sitzt Klaus am Klavier.

Am Premierenabend will sich diese Energie freilich nicht so recht auf die Zuschauerschaft übertragen, typische Rockstar-Gesten der Publikumsanimation gehen da ins Leere. Doch sei nicht ausgeschlossen, dass das in den Folgeaufführungen besser gelingen kann, wenn sich herumgesprochen hat: Das Stück ist zwar irgendwie irre; doch kann man an Fieberträumen ja auch Spaß haben, solang es nicht die eigenen sind.