Mit einem wunderschön in fülligen Linien wellenden Sopran gestaltet Ekaterina Kudryavtseva diesen Gesang jenseits der Sprache. Das ebenfalls im Dunkeln spielende Staatsorchester versetzt mit freitonalen Klängen geradezu in Trance, wenn die Perkussion klingelnd in höchste Höhen führt, das Klavier unharmonische Tonleitern buchstabiert und in den hohen Noten klackert, wenn Streicher erregt flirren oder mit energischen Strichen aufjagen, die Bläser mit Tuschen Akzente setzen. Das kann manchmal geräuschhaft anschwellen wie beim Flugzeugstart, kann auf dunklem, ostinatem Grundton wogen wie zu Beginn von Wagners „Rheingold“, aber auch ganz sphärisch ausrieseln.
Musik im Dunkeln
Es ist fantastisch, wie die Musikerinnen und Musiker das während der fast die Hälfte des Werks einnehmenden Dunkelphasen auswendig umsetzen. Aber nicht nur dann. Manchmal geht das Licht an, dann kommen die Ärztinnen, Krankenpfleger und Familienangehörigen ins Spiel, die Michaela versorgen und durch Geschichten aus der Vergangenheit versuchen, in ihre Welt einzudringen und sie womöglich zurückzuholen ins bewusste Diesseits. Dann geht es auch für die Musizierenden nach Noten weiter, und Dirigent Alexis Agrafiotis, der ja auch die dunklen Teile perfekt einstudiert hat, sorgt mit klaren Gesten für die Koordination.
Vor allem gelingt es ihm, Haas‘ farbige Klangerfindungen nuanciert hervorzulocken. Und er setzt die dramatischen Anspannungen klug gesteigert um. Wenn Michaela etwa zum Waschen ausgezogen wird, fühlt sie sich offenbar bedroht, wird heftig. Auch die Familie und Pfleger geraten in Panik. Gleich danach ist der See Thema: Schwimmen und absichtliches Ertrinken. Am Ende ein im Wechsel von Streicherzupfern und -vibrieren und zarten Glöckchenschlägen sich entspannendes Versiegen. Die Stimmen der anderen kommen nur noch mit im Raum verteilten Rufen ihres Namens zu Michaela durch. Ergreifend.
Eine abstrakte Version der Schwetzinger Urfassung
In Braunschwieg spielt man die Schwetzinger Urfassung, wo das medizinische Personal spricht und nur die Familie singt. Gerade das hätte auch eine eher realistische Inszenierung der Lichtphasen nahegelegt, in denen wir alle Mitwirkenden sehen. Regisseurin Dagmar Schlingmann will aber eher eine abstrakte Auffassung, die in Michaelas Kopf spielt. Sabine Mader hat dafür einen drehbaren Gazekasten gebaut, in dem auch Filmschnipsel der Erinnerungen projiziert werden, die die Familienmitglieder aufrufen. Die merkwürdig lilastichige Alltagskleidung und weiße Perücken wirken aber weder abstrakt noch sphärisch. Und über die aufgeblasenen Gummitiere von Drache und Dino kann man sich nur wundern. Sinniger werden ein Schal und ein grünes Kleid zu überdimensionierten Erinnerungsobjekten.
Der in Fetzen auf die Stimmen verteilte Text ist nicht immer zu verstehen. Librettist Händl Klaus deutet familiäre Übergriffigkeiten an, die Überforderung Michaelas als Lehrerin, sie ist in den Tod geflohen. Daniel Gloger, eigentlich mit schönem Bariton als Schwager unterwegs, schlüpft mit Countertenor bösgifitg auch in die Rolle der Mutter, die offenbar sowohl den Tod von Michaelas Tochter als auch Michaelas gewünscht hat. Rainer Mesecke singt mit warmem Bass den wohl wirklich liebenden Ehemann, Pia Davila als kurzfristige Einspringerin mit klarem, hohem Sopran ihre Schwester, während Regieassistentin Beatrice Müller engagiert spielt. Auch das klappt. So gelingt eine besonders in den Dunkelteilen suggestive Aufführung dieses zeitgenössischen Klassikers im Grenzbereich von Tod und Leben.