Foto: © Sebastian Hoppe
Text:Karolin Berg, am 6. Oktober 2024
Am Staatsschauspiel Dresden inszeniert die Regisseurin Katrin Plötner die Graphic Novel „Im Spiegelsaal“ von Liv Strömquist. Dabei nimmt sie sich dem thematischen Universum der Schönheit und dessen medial beeinflusster Wahrnehmung an.
Welches Bild von uns wollen wir herstellen, das andere von uns sehen? Und wie hält man die Diskrepanz zwischen privatem und öffentlichem Ich aus? 2022 inszenierte Plötner in Dresden bereits die Uraufführung von „Ich fühl‘s nicht“ der schwedischen Comiczeichnerin und Politikwissenschaftlerin, deren Graphic Novel das Verliebtsein in unserer heutigen Zeit des Spätkapitalismus beleuchtet. Mit „Im Spiegelsaal“ lotet die Regisseurin nun erneut die Frage aus, wie die Bilder- und Sprachwelt des Comics auf die Bühne gebracht werden kann.
Eine erste Antwort erhält das Publikum direkt zu Beginn: Der rote Samtvorhang öffnet sich. Plötner versucht klugerweise nicht den Comic zu imitieren, sondern stellt aus: Wir sind im Theater und dessen Mitteln bedienen wir uns. Und das tut ihr Ensemble äußerst kreativ und energetisch. Das erste Bild ist grandios: Hinter dem Theatervorhang öffnet sich eine geheimnisvolle, gigantische Unterwasserwelt, in der allerlei merkwürdiges Meeresgetier zuhause ist. Da blubberts, hier zwitschert ein Delfin. Qualle, Koralle und Octopus verteilen im Staccato Herzemojis an die Meerjungfrau aka Kylie Jenner. Seeigeln „gefällt das“, Kiemenatmern „gefällt das“, Meeressäugern „gefällt das“. Dabei singen sie im wabernden Unterwassersound „Can´t get you out of my head“ von der anderen Kylie, der Minogue. Was für eine abgefreakte Märchenwelt.
Feministische Perspektive auf Schönheit
Liv Strömquists feministischer Sachcomic ist in fünf Essays unterteilt, die sich mit verschiedenen Perspektiven und differenten Blickwinkeln auf die Schönheit auseinandersetzen. Die schwedische Comiczeichnerin bezieht sich dabei auf popkulturelle, philosophische, historische Verweise, um ihre Thesen zu heutigen Schönheitsidealen und ihre Sichtweise auf Social Media getriebene Trends aufzuzeigen, im Besonderen dem des Bilderwahns.
Das Dresdener Ensemble in der Bühnenadaption von Strömquists „Im Spiegelsaal“. Foto: Sebastian Hoppe
An diese Chronologie der fünf Kapitel hält sich auch die Stückfassung von Katrin Plötner und Kerstin Behrens. Das Bühnenbild von Bettina Pommer passt sich jedem Spieleinfall, jeder szenischen Situation an. Es wirkt wie ein schlummernder Riese, der ab und an zum Leben erwacht, seine Gestalt ändert, sich aufbläht, die Figuren verschlingt und wieder in sich zusammensinkt. Die Kostüme von Johanna Hlawica verstärken den märchenhaften Eindruck.
Alle sind ein bisschen drüber
Diese Setzung der Unterwasserwelt verliert sich nach kurzer Zeit, verlagert sich zu einem Ausstellen des Spielens und stetigen in die Rollenschlüpfens der sieben Schauspieler*innen. Und natürlich taucht unser aller Vorbild und Sehnsuchtspunkt Kylie Jenner immer wieder auf. Es gibt ja noch genug zu klicken, zu liken und Ansporn den Body zu optimieren. Das Ensemble spielt rasant körperlich verausgabend, das Sprechen ist exaltiert, mit überraschend gesetzten Brüchen, druckvoll, hier und da qua der überschlagenden Schnelligkeit etwas schwer verständlich.
Die schräge Verfremdung und Überdrehtheit pointiert die Härte und völlige Absurdität des Schönheitsstrebens, -neids und Nicht-Älterwerden-Wollens. Das harmonische, Zusammenspiel von Sarah Schmidt, Henriette Hölzel, Marlene Burow, Karina Plachetka, Philipp Lux, Daniel Séjourné und dem kurzfristig eingesprungenen Jannik Hinsch ist beeindruckend im Timing. Auch die Übergänge zwischen den Stories von Marilyn Monroe, Schneewittchen, Sissi und Nofretete wirken fluide und mit viel Spaß bei den Proben erdacht.
Am Ende entschwebt Sissi (Henriette Hölzel) an aus Haaren geflochtenen Turnringen hängend samt Bühnenbild zum Schnürboden empor. „SERVUS!“ Black. Verdient begeisterter Applaus. Vom Publikum gibt es ein „Gefällt mir“, „Gefällt mir“, „Gefällt mir“ für den gesamten Abend.