Wie ein Naturereignis

Durs Grünbein: Der Komet

Theater:Staatsschauspiel Dresden, Premiere:24.01.2025 (UA)Regie:Tilmann Köhler

Tilmann Köhler inszeniert am Staatsschauspiel Dresden Durs Grünbeins „Der Komet“ über die Bombennacht 1945 in Dresden. Das Erzählstück hätte mehr Facetten ausschöpfen können und bleibt nah am Originaltext.

Pestepidemien, verheerende Brände, Aufsehen erregende Mordserien, in jüngster Zeit fremdenfeindliche Eskalationen oder Amokläufe. Wie Menschen werden auch Städte immer wieder von Ereignissen heimgesucht, die sich einbrennen und manchmal jahrhundertelang Spuren hinterlassen. Wobei die Passivierung „werden heimgesucht“ ein satzbildnerischer Taschenspielertrick ist. Man kann sich damit linguistisch billig der Diskussion entziehen: Wer trägt die Schuld? Wie hoch ist der eigene Anteil an dem, was einen da heimgesucht hat?

Im Falle der sächsischen Landeshauptstadt Dresden ist die Bombennacht des 13. Februar 1945 eines dieser traumatischen Ereignisse:  Britische und amerikanische Bomber überzogen die Stadt mit ihrer Fracht. „Teile der Stadt werden zerstört, die Zahl der Opfer wird auf circa 25.000 geschätzt. Der militärische Nutzen der Bombardierung ist umstritten“, berichtet etwa das Deutsche Historische Museum auf seiner Webseite. Um die Interpretation der Ereignisse wird hart gerungen.

Das Erzählstück

Vor zwei Jahren schaltete sich der Lyriker, Essayist und Librettist Durs Grünbein in die Diskussion ein mit seinem langen Erzählstück „Komet“. Er schildert die Bombennacht als eine Folge der Verbrechen des deutschen Faschismus, „einer Ordnung wie für die Ewigkeit geschaffen, die so mächtig, wie sie organisiert war, nur noch von außen, vom Himmel her, mit Flächenbombardements … auf den Boden der Tatsachen zurückzubringen war.“ Und doch glich sie den Menschen in Dresden einem Naturereignis, dem Einschlag eines zerstörerischen Kometen.

Der Komet Staatsschauspiel Dresden

Sven Hönig, Henriette Hölzel, Anna-Katharina Muck, Marin Blülle, Karina Plachetka, Matthias Reichwald, Christine Hoppe. Foto: Sebastian Hoppe

Der gebürtige Dresdner Grünbein ist seiner Heimatstatt weiterhin eng verbunden. Er berichtet davon am Beispiel seiner Großmutter Dora, die als junges niederschlesisches Mädel, Kind einer Bauernfamilie, dem Fleischergesellen Oskar in die Pracht des barocken Dresdens gefolgt war. In der altehrwürdigen und zugleich jugendlich-modernen Großstadt erlebte sie erst ihre „goldenen Jahre“, dann das Grauen. Das Staatsschauspiel Dresden hat die Erzählung – knapp drei Wochen vor dem 80. Jahrestag der Bombennacht – in eine theatrale Inszenierung verwandelt. Das Interesse im Kleinen Haus ist groß.

Vielseitiges Felder-Bühnenbild

Ein neun mal neun Felder großer Stadtplan ist die angeschrägte Spielfläche für „Der Komet“, gestaltet von Karoly Risz. Weil einzelne Felder herausnehmbar sind, lassen sich ein paar zusätzliche Spielorte imaginieren: Badeseen, eine Geisterbahn, Luftschutzbunker. In Kombination mit einem großen Spiegel ergeben sich einige sehr hübsche theatrale Effekte.

Die Fläche beleben sieben Spieler, vier weibliche, drei männliche. Klare Rollenzuweisungen gibt es nicht, die gäbe auch die tief in Doras Leben eintauchende literarische Vorlage schwer her. Das Regieteam um Tilmann Köhler setzt stattdessen auf gemeinsame Pantomimen, auf chorisches Sprechen, auf Wiederholen von Sätzen durch unterschiedliche Sprecher in unterschiedlichen Tonalitäten, auf die Vervielfachung von Szenen. So wird ein Wiedersehen zwischen Dora und Oskar bei dessen Fronturlaub gleich dreifach gezeigt – Gelegenheit, den Widerstreit zwischen Sehnsucht und Entfremdung in all seinen Spielarten zu präsentieren.

Verwandlungen

Die Gruppe der Spieler verwandelt sich in Flammen und Wellen, in die schlesische Familie Doras und in Ziegen, die sie als Kind hütete, in sterbende Soldaten auf Schlachtfeldern, in britische Städte im deutschen Bombenhagel und in arische Dresdner, die der Verfolgung von Juden in der Reichskristallnacht widerspruchslos zusehen. In einem furios-beängstigenden Ballett zu Griegs „In der Halle des Bergkönigs“ (Livemusik von Matthias Krieg) werden Luftschutzübungen absolviert und vieles, was zu sehen ist, macht trotz des elegischen Grundtons Spaß.

Die Inszenierung bleibt nah an Grünbeins Text, folgt seiner zwischen den Jahren hin- und herspringenden Chronologie. Das hat Vorteile, weil der Erzähltext stark ist, teils verdichtet und rhythmisch, beinahe lyrisch, durchsetzt mit sich wiederholenden Motiven, dem des „Fallens“ beispielsweise oder der „Schlächterei“, der in Oskars beruflichem Leben wie der auf dem Kriegsfeld. Es hat Nachteile, weil es eben Erzähltext ist – Oral History, wenn auch aus dem Munde des Nachgeborenen. Der wird fair verteilt: Jeder Spieler erhält längere Passagen, in denen ein Stück Text teils gespielt, teils beinahe doziert wird. Der Theaterraum wird zum Hörsaal. Wörtliche Rede hingegen, Dialoge gar sind rar gesät.

Facettenlosigkeit

Verbunden mit den wechselnden Rollen der Spieler, lässt das die Figuren blasser werden als nötig. Am ehesten noch kann man sich der Hauptfigur Dora nähern, die doch immerhin wiederholt von Henriette Hölzel in jugendlicher Leichtigkeit dargestellt wird. Doch selbst bei ihr lässt der Bühnentext wesentliche Facetten aus: Kindheit und Jugend in Niederschlesien sind vor allem Zeiten sexueller Übergriffe. Doras Interesse für Geschichte, ihre Liebe zum Kino (die auch die Liebe zu Oskar motiviert, der wie ein Filmschauspieler in ihre Welt tritt), ihr Grüner Daumen, feministische Ideen – von all dem erzählt Grünbein, die Inszenierung fokussiert vor allem auf Doras Opferrolle.

Die Bombennacht erlebt Dora an Scharlach erkrankt in einer Klinik, aus der es schnell an die Ufer der Elbe zu flüchten gilt, wo sie kraft- und besinnungslos in ein Blackout fällt. Die Schauspieler erzählen davon, der große Spiegel ist nun so aufgestellt, dass sich das Publikum darin sehen kann. Keine ganz neue Idee, um das Erzählte ganz bildlich an die Zuschauer zurückzuwerfen und zur Reflektion einzuladen. Doch vielleicht muss man Teil dieser Stadtgesellschaft, Teil der Aufarbeitungskultur des lokalen kollektiven Traumas sein, um sich an dieser Stelle so richtig involviert zu fühlen.