Musikalisch gelungen
Die Musik von Kurt Weill dagegen schon – dessen Stiftung in New York nahm es ja mit Noten und Arrangements schon immer sehr viel genauer als die Brecht-Erben. Aber auch die Weill-Beschützer haben die Dresdner „Dreigroschenoper“ umstandslos durchgewinkt – und dabei massive Umstellungen in der musikalischen Dramaturgie sowie Streichungen akzeptiert. Das Orchester um Pianist Michael Wilhelmi trifft dann auch sehr akkurat den historischen Weill-Ton. Gesungen wird vom Dresdner Ensemble auch durchweg fabelhaft. Henriette Hölzel als Polly Peachum gelingt zuweilen sogar so etwas wie „neuer Weill-Sound“. Aber merkwürdig – die Klarheit und Kompetenz des musikalischen Charakters wirkt mit der Zeit fast wie ein Fremdkörper im perfiden Spektakel, das Lösch und Kittstein hier anrichten mit Brechts Worten und Ideen.
Dies sind die zentralen Entscheidungen – Familie Peachum, im Original bekanntlich Eigner eines sehr schlagkräftigen Unternehmens von Bettlerinnen und Bettlern in London, steht jetzt der regionalen sächsischen Organisation der „PfD“ vor. Ein leicht übersetzbarer Name der Partei „Perspektive für Deutschland“. Sie sind gerade im Wahlkampf, Herr Peachum will nächster sächsischer Ministerpräsident werden. Zu Beginn verprügeln sie zum Rhythmus von Weills Ouvertüre den „illegalen“ Bettler Filch; hier ein sozial Randständiger, der umgehend in einen typischen Wutbürger verwandelt werden soll. Er will aber nicht – will lieber Teil vom sozialen Umfeld von Herrn Macheath bleiben.
Verschwörung und Putsch
Um diesen Macheath, im Original tatsächlich Peachums Widerpart außerhalb der Legalität, versammeln sich alle möglichen Verschwörungstheoretiker. Einer trägt sogar tatsächlich den angemessenen Alu-Hut. Auch die Ex-Geliebte Jenny gehört zu Macheaths Bande – deren ursprüngliches Puff-Milieu ist eliminiert, Jenny mutierte zur Ober-Esothekerin. Der Banden-Boss selbst ist Reichsbürger. Polly, die Tochter aus Peachums „PfD“-Familie, lässt er nach der Hochzeit zur neuen sächsischen Kurfürstin krönen, und sich selbst will er demnächst (möglichst am Wahltag) zum Kurfürsten hochputschen.
So haben Lösch und Kittstein dem Stück vor vielem anderen den sozialen Konflikt ausgetrieben. Dieser ergibt sich ja immer aus der unberechenbaren Macht, die große Massen von Bettlerinnen und Bettlern ausüben können, auch gegen die Ordnungsmacht des Polizeichefs Brown. Hier geht es nur noch um zwei konkurrierende Wege rechtsaußen: hie die „PfD“-Machtergreifung per Wahl, dort die durch den Putsch von Reichsbürgern und Verehrern der Fürstenherrschaft. Und diesen Nicht-Konflikt walzt Löschs Team nun aus, als gelte es, das Wahlprogramm der „PfD“ in Gänze zu zitieren. All der widerwärtige menschenverachtende Hass in den versammelten Schwurbelköpfen wird herbei zitiert; bis hin zu Mord- und Vernichtungsphantasien des faschistischen Mobs.
Hat wohl irgendwann jemand im Lauf der Produktion gefragt, welchen Effekt all dieses Gedankengut hat, wenn es auf die Bühne gekippt wird? Klar – das Ensemble ist auch zu viel parodistischem Slapstick-Spektakel angehalten, es besteht durchweg aus schlimmstmöglich ausgestatteten Karikaturen und chargiert auf Deubel komm raus vor Cary Gaylers Kulissen-Kopie des Nymphenbads im Dresdner Zwinger.
Sogar noch ein Epilog
Ganz zum Schluss, wenn Peachum von 58 Prozent Wahlbevölkerung zum Ministerpräsidenten gewählt ist und Ex-Gegner Macheath zwar nicht zum neuen Kurfürsten, aber immerhin zum wichtigsten Mitstreiter ernennt, bekommt das abendfüllende Fascho-Gezeter in Blaubraun noch einen Epilog. Ein echter Aktivist aus Zwickau berichtet, wie schlimm schon alles sei, bei ihm in Zwickau und auch sonst, erzählt von all dem offenen und noch verdeckten Terror von Rechts. Und das, nachdem sich vorher brandgefährliches Gedankengut auf der Bühne austoben durfte als Dauer-Zitat … wer mag, kann diese Strategie durchaus verlogen finden.
Und Löschs Team missbraucht Brecht auch über die unübersehbaren Kittstein-Einschübe hinaus. Nachdem schon die soziale Komponente von Beginn an ausgemerzt ist, bekommt auch das Finale, speziell der Schlusschoral mit den dialektischen Wendungen über Recht und Unrecht („… in Bälde erfriert es schon von selbst, denn es ist kalt …“). Es verwandelt sich ohne Musik, dafür in der TV-Berichterstattung vom „PfD“-Erdrutschsieg zur Rechtfertigung für all das rechte Terror-Gesocks.
Hat Brecht das wirklich verdient? Nein. Mindestens so schockierend und fürchterlich wie die Inszenierung ist der überschwängliche Jubel im Saal. Und hinter dem Theater heult übrigens kurz nach Jubelschluss einer von denen, um die es gehen müsste, die alkoholisierte Verehrung für Hitlers Stellvertreter Rudolf Hess in die Dresdner Nacht – purer Zufall, aber signifikant.