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Staatsbürgerkunde als LSD-Trip

Uwe Tellkamp (Bühnenfassung: John von Düffel): Der Turm

Theater:Mecklenburgisches Staatstheater, Premiere:06.03.2015Regie:Peter Dehler

„Der Turm“ ist nun auch im Mecklenburgischen Staatstheater auf dem Spielplan angekommen. Am Freitagabend war die Premiere in Schwerin. Regisseur Peter Dehler hat mit der Fassung von John von Düffel die Figur Christian Hoffmann in den Fokus gestellt. Um ihn herum Familie, Schule, Armee und Staatsmacht.

Die Bühne von Susanne Richter ist eine große betongraue Treppe. Man schreitet beim Reden hinunter oder hinauf, redet von unten hoch oder von oben herab. Eine wunderbare Lösung, wie sich zeigte, für Szenenwechsel zwischen Krankenhaus, Schule, 50. Geburtstag, Sommerwiese, Strafgericht – die Schauspieler verschwanden in Boxenstopps mit Schwenktür nach links oder rechts. Die Treppe symbolisch natürlich auch für den „Weißen Hirsch“, von dem die Hoffmanns und Rohdes im Dresden der 80er Jahre hinab steigen. In das Reich der einfachen Menschen. Aus der Villa, dem „zum Himmel wachsenden Schneckenkegel“, die „Gelehrteninsel“. Wo Thomas Mann im Regal steht, die Plattensammlung mit klassischer Musik, und man ungestört über den Staat meckern kann.

Da träumt Christian Hoffmann noch davon, ein großer Mensch zu werden. Arne Gottschling ist ein junger Schauspieler, aber dass er 30 Jahre alt sein soll, ist nicht zu fassen. Eine große Leistung, wie er den Christian entwickelte. Vom eingebildeten Spätpubertären im Stimmbruch zum verrohten gehirnamputierten Infanteristen und verzweifelten Befehlsverweigerer. 

Jochen Fahr als Richard Hoffmann schrumpft vom großkotzigen Chef der Unfallchirurgie zum Feigling. Seine Frau Anne, gespielt von Katrin Heller, wird wach aus ihrem Selbstbetrug, als sie ihren Sohn an die Staatsmacht verliert. Seine Geliebte Josta (Anja Werner) dagegen aus dem Koma nach einem Suizidversuch. Dirk Audehm, Onkel Meno, korrigiert seinen moralischen Haltungsschaden als Lektor der Autorin Judith Schevola (Lucie Teisingerova). Sebastian Reusse steht als Dr. Weniger auf dieser Bühne und Özgür Platte als Ekel-Anwalt Sperber oder deutlicher: Gysi. 

Den Staatsbürgerkundeunterricht inszeniert Regisseur Peter Dehler wie einen LSD-Trip, mit Video-Projektionen von sich kaleidoskopartig veränderndem Rot, dazu halluzinogene Berieselung mit dem Marxschen Geschichtsbegriff. Auch Christians folgenschwere Verpflichtungserklärung zu drei Jahren Armee ist ein umnebelter Psychotrip. Unentschlossen fängt er den riesigen Federhalter und seine schnörkelige Unterschrift kratzt quer über die ganze Bühne. 

Dafür, dass sie die Macht hatten, so viel anzurichten, waren die Blues-Brothers von der Stasi, der krakeelende Feldwebel (Rene Kaminski) oder die rote Petze Swetlana auf dieser Bühne zu klamaukig. Das kann man machen, aber dann muss man damit rechnen, dass das Publikum erinnerungsselig ins Schunkeln gerät und sich über die DDR-Witze wegprustet. „Die süße Krankheit Gestern“, wovor Tellkamp mit seinem Roman gewarnt hatte. Insgesamt aber kam es durch Spiel und Dialoge und gerade auch durch die Musik zu emotionalen Momenten. Beethovens „Ode an die Freude“ im Duett mit „Spaniens Himmel“ am Ende. Die 22 Mitwirkenden mit Kerzen in den Händen, der Spitzel neben dem Dissidenten. Ein kurzes Nebeneinander. Und bevor das Licht ausging, war’s nur noch „Spanien“, was immer lauter wurde. Danach ausdauernder Applaus vom Publikum. Die Schweriner waren begeistert.