Foto: Stempel unter sich (Florentine Krafft und Michael Brandt) in der Uraufführung von "Hohe Auflösung" am Staatstheater Karlsruhe © Felix Grünschloß
Text:Elisabeth Maier, am 10. Juni 2014
Geballte Fäuste kleben an den Akteuren. Wie archaische Frontkämpfer stapfen sie in schweren Kostümen. In „Hohe Auflösung“ bringt der ukrainische Autor Dmytro Ternovyi Pflastersteine zum Sprechen. Die düstere Geschichte aus dem vom Bürgerkrieg geschüttelten Land hat die junge deutsch-iranische Regisseurin Mina Salehpour im Studio des Karlsruher Staatstheaters sensibel und mit starken Bildern in Szene gesetzt. Kostümbildnerin Maria Anderski hat herrlich phantasievolle Kostüme geschaffen. Auf dem schmalen Grat zwischen Groteske, Bou-levardkomödie und Tragödie bewegt sich Salehpour, die 2013 den deutschen Theaterpreis im Kinder- und Jugendtheater bekam, zauberhaft leicht.
Für die Zuschauer, die täglich aus der Zeitung von Leichen und Verletzten des Bürgerkriegs in dem europäischen Land lesen, holt sie die Erfahrung von Flucht und Verfolgung nah heran. Ihr ehrlicher Umgang mit dem Text, mit dem der Autor 2012 den internationalen Dramenwettbewerb „Über Grenzen sprechen“ gewann, macht die Inszenierung zum großen politischen Theater.
Das Meisterstück der Regisseurin, die als Kind mit ihren Eltern aus dem Iran geflüchtet ist, liegt im virtuosen Spiel mit Ternvoyis Szenen, von Lydia Nagel lebendig und straff übersetzt. „Hohe Auflösung“ ist komplex. Der Text verbin-det dokumentarische Dichte mit einer komischen Handlung, die mitten ins Herz trifft. Jorge Enrico Caros stapelt auf der Bühne weiße Kissen in Wandregale, die mit braunen Blümchen bedruckt sind. Das wirkt heimelig. Am Ende, wenn die Schüsse fallen, entpuppen sich die Symbole trauter Wärme als schwere Sandsä-cke, hinter denen sich die verfeindeten Parteien verbarrikadieren. In den Kriegswirren, die sich vor seinem Haus auf dem zentralen Platz Majdan in Kiew konzentrieren, muss sich der Geiger Andrej von den Behörden ein Schengen-Visum holen, um für ein Konzert ausreisen zu dürfen. Ralf Wegner zeigt den Kampf mit dem Behörden stark. Erniedrigend sei für ihn nicht, wie es abläuft, „sondern dass es überhaupt abläuft“. Auch seine Frau Jelena, die Florentine Krafft tief und charakterstark zeigt, gerät in die Fänge des Militärs. Der Offizier, den Michel Brandt lustvoll zwischen Karikatur und gescheiterter Existenz aus-balanciert, demütigt sie. Der Autor Ternovyi jagt das Publikum durch ein Wechselbad von Lachen und Entsetzen.
Das atemberaubende Tempo geht Regisseurin Salehpour mutig mit. Klug fasst sie die chaotische Szenenfolge in eine Ring-Dramaturgie, die konsequent auf das tragische Ende zusteuert. Nur selten verrutschen Figuren in die Klamotte – etwa, wenn der ansonsten überzeugende Frank Wiegard als Eindringling und illegaler Flüchtling den Action-Helden gibt. Zu Höchstform läuft die ebenso wandelbare wie innovative Ute Baggeröhr in dem Spiel mit Theaterformen auf. Nicht nur ihr Zopf erinnert an die umstrittene Politikerin Julia Timoschenko. Als Chefin einer Softdrink-Fabrik zerrt sie einen dokumentarischen Text brillant in die tränenreich verkitschte Groteske. Die grandiose Leistung des Ensembles und des mehr als vielversprechenden Regietalents Salehpour steht für ein Theater, das künstlerische und kulturelle Grenzen überwindet.