Foto: "Emilia Galotti" am Schauspiel Leipzig. Ulrich Brandhoff
© Rolf Arnold
Text:Ute Grundmann, am 7. Oktober 2013
Dem Prinzen ist alles Spiel. Ob er ein Todesurteil unterschreiben soll oder wieder einmal eine Frau verführen will – er tut es lässig, aber zielstrebig, wobei die Verführung Vorrang vor dem Regieren hat. Als solches unausweichliches Spiel der Verführung, von Macht, Stolz und Ohnmacht, hat Enrico Lübbe Lessings „Emilia Galotti“ in Leipzig inszeniert. Es war seine erste Regiearbeit als neuer Schauspiel-Intendant, vorangegangen waren vier weitere Premieren, darunter zwei Uraufführungen.
Lübbe hat das Stück radikal gekürzt. Von fünf Akten sind gerade mal 80 Theater-Minuten geblieben. Zwar hecheln Marinelli und der Graf ein bißchen den Stadtklatsch durch, lästern Angelo und Pirro hinter Appianis Rücken über dessen bevorstehende Hochzeit. Doch länger nimmt sich die Inszenierung für höfisches Geplänkel und Intrigen nicht Zeit, es geht konzentriert und rasant nur um die Verführbarkeit und Verführung der Emilia Galotti, sozusagen den Weg von A nach B.
Dafür hat Hugo Gretler ein faszinierendes Bühnenbild entworfen: Grauschwarze Pfeiler auf der leeren Bühne, die sich mal wie Bäume im Wald drehen, mal als Architektur der Macht im Reich des Prinzen stehen. Und die Musik von Bert Wrede, basierend auf Bachs „Wohltemperiertem Klavier“, streut immer wieder Klaviertöne in die Handlung, sanft zunächst, dann immer bedrohlicher, bis es fast zu melodramatisch wird.
Das wird Lübbes intensiv-spannende Inszenierung nie, die ihre Figuren sehr genau zeichnet. Emilia Galotti (Anna Keil spielt sie klar, zart, aber auch mit Härte) wandelt sich vom Mädchen, das aus der Kirche kommt, wo sie ihren Namen hat flüstern hören, zur Frau, die die Verführung des Grafen nicht nur erkennt, sondern auch, dass sie ihr erliegen könnte. Da steht sie dann verträumt und verschreckt zugleich am Bühnenportal, den Arm suchend und sehnend nach dem Prinzen ausgestreckt. Den spielt Ulrich Brandhoff – wie alle in heutiger Alltagskleidung, nur er barfuß – als charmanten, aber kühl kalkulierenden Verführer, der keine Hindernisse duldet. Die räumt im Zweifelsfall der fies-maliziöse, dienstfertige, aber nie unterwürfige Marinelli von Michael Pempelforth weg. Dass sich Orsina (Bettina Schmidt) mit ihm ein brillantes Wortgefecht liefert, ändert nichts, hält nichts auf. Da bleibt auch Emilias Vater (Denis Petkovic) nur der lange, lautlose Schrei. Da ist die Bühne schon tiefschwarz, kommt Emilia – hart und ruhig, Empörung und Trauer in der Stimme – aus dem Dunkel zum Vater, verlangt die Waffe, die er Orsina abnahm. Dann gibt es zwar – wieder in diesem Pfeilerwald – einen Kuss des Prinzen, sie schmiegt sich an und wehrt sich zugleich. Doch dann erschießt Emilia – anders als bei Lessing – sich selbst. Sonst wäre sie der Verführung wohl erlegen und ihr wäre es, anders als dem bloß spielenden Prinzen, Ernst gewesen.