Foto: Die "Vier Ton Oper" von Tom Johnson am Theater Krefeld/Mönchengladbach © Matthias Stutte
Text:Andreas Falentin, am 18. November 2013
Am Ende fällt das Portal mit gewaltigem Krach vor die Füße. Auf weißem, in einen riesigen, verschnörkelten Goldrahmen gespanntem Papier steht mit krakeliger, roter Handschrift ‚SPIEGEL‘. Und das Publikum feiert ausgelassen die Tatsache, dass dieser Abend etwas ist, was man mit Musiktheater kaum, mit Neuer Musik eigentlich nie assoziiert: Ein intelligenter Spaß.
Der 1939 in Colorado geborene Tom Johnson war Schüler bei Morton Feldman und Elliott Carter und steht stilistisch zwischen John Cage und Philip Glass. Für ihn ist Minimal Music vor allem „Komponieren mit begrenztem Material“, um konzentriertes Hören zu ermöglichen. Von dem, was da ist und vor allem, von dem, was fehlt. In seiner 1972 mit großem Erfolg uraufgeführten „Vier Ton Oper“ für vier Sänger und ein Klavier hat er jede Menge weggelassen. Es gibt keine Handlung, die Rollennamen entsprechen dem Stimmfach und es kommen ausschließlich die Töne d, e, a und h vor.
Der gesungene Text besteht in Bemerkungen zum Ablauf („Jetzt kommt ein Chor“, „die nächste Arie ist sehr lang“) und zum auf die Aufführung bezogenen Gefühlsleben der Sänger („Ach, diese Wiederholungen“, „Es ist unmöglich, dass ich nur eine Arie habe!“). Es entsteht das Skelett einer Opernaufführung als Hommage an und Infragestellung der Kunstgattung Oper in einem. Dabei schreibt Johnson sehr kompetent und lustvoll für die Gesangsstimme. Die ausgedehnte Wiederholung der Sopran-Arie kurz vor Schluss etwa ist ein zugkräftiges Kabinettstück – und eine echte Aufgabe für jede Sängerin, die sowohl die berühmte „geläufige Gurgel“ als auch echte sängerdarstellerische Fähigkeiten verlangt.
Der jungen Regisseurin Katja Bening gelingt im Studio des Theaters Mönchengladbach Erstaunliches. Entspannt und zielsicher reflektiert sie die in „Vier Ton Oper“ reflektierten Klischees und gewinnt Witz. Udo Hesse hat ihr ein Brettl mit rotem Vorhang auf die kleine Bühne gestellt – und drum herum, mit einfachen Mitteln, einen Backstagebereich. Wer auf der Bühne gerade nicht dran ist, mixt sich Eier ins Glas, macht Stimmübungen, verursacht kleine Unfälle oder wuselt einfach um den Pianisten herum. In diesem einfachen Umfeld zünden überraschenderweise die ältesten Theatergags. Sie sind sehr gut getimt und ausagiert, vor allem aber funktionalisiert, und geleiten den Zuschauer fast zwangsläufig zur Frage: „Warum bin ich überhaupt hier?“ – mit der Antwort: „Weil Musiktheater eine tolle Sache ist!“. Und die gibt man auch, weil man vier talentierte Sänger mit jungen, gesunden Stimmen zu hören kriegt. Lisa Katarine Zimmermann, Charlotte Reese, Andrey Nevyantsev und Sebastian Seitz bilden zur Zeit das „Opernstudio Niederrhein“, das Nachwuchsensemble des Gemeinschaftstheaters, und sind mit viel Musikalität und noch mehr Spiellust dabei.
Alle Beteiligten machen „Vier Ton Oper“ zu einem extrem reizvollen Abend über Oper an sich, der vielleicht auch als ambulante Schulaufführung echtes Potenzial hätte und vermutlich mehr junge Menschen „infizieren“ könnte als 100 kleine Zauberflöten.