Foto: Yosemeh Adjei als fliegender Peter Pan © Andreas Etter
Text:Ulrike Kolter, am 18. Dezember 2022
Kinder und Musiktheater für Kinder – das funktioniert nicht immer zusammen, in der szenischen Umsetzung oder der musikalischen Struktur: zu lang, zu ambitioniert oder zu anbiedernd gerät manche Junge Oper. Nicht so in Nina Kühners Neuinszenierung von Richard Ayres „Peter Pan“ am Staatstheater Mainz. Hier ist ein bunt-fideles Spektakel entstanden, mit engagierten jungen Akteuren auf der Bühne, einer fantasievollen Ausstattung und einem hervorragend zusammengestellten Ensemble für die aufbrausende, atmosphärische Tonsprache des britischen Komponisten.
Nach Stuttgart und Berlin nun am Staatstheater Mainz
Nach der Uraufführung an der Staatsoper Stuttgart 2013 und einer Neuinszenierung von Keith Warner an der Komischen Oper Berlin 2016 (die mit über zwei Stunden reichlich fordernd war fürs junge Publikum) ist nun in Mainz eine auf 90 Minuten komprimierte Fassung entstanden, die dem Werk nicht nur szenisch gerecht wird, sondern auch eine eigensinnige Komponente der Partitur neu interpretiert: Die stumme Rolle der Elfe Tinkerbell – nur klanglich beschrieben durch ins Mark gehende Piccoloflöten und ein Glockenspiel – wird auf der Bühne von einer gehörlosen Darstellerin (großartig: Adriane Große) verkörpert; in Gebärdensprache verständigen sich die Elfen und damit auch Tinkerbell mit Peter Pan. Vorn an der Bühne sitzend, dolmetscht eine junge Frau mit Gebärden das ganze Stück. Wie selbstverständlich sich diese Ebene ins Spiel mischt, beweist vor allem: Verständigung auf der Bühne war schon immer vielseitig, egal ob singend, tanzend oder eben mit Gebärden.
Links neben der Bühne von Hanna Zimmermann ist die kaum je pausierende Harfe postiert, rechts das ebenso präsente Akkordeon. Im Hause der Familie Darling finden sich die drei Kinder Wendy (Maren Schwier), John (Mark Watson Williams) und klein Michael (Alexandra Samouilidou) ein, Kindermädchen Nana, ein Hund (göttlich, seine Wuffs: Gregor Loebel) soll die Rasselbande zur Ruhe bringen, damit Mr. Darling (Stephan Bootz) und Mrs. Darling (Anke Steffens) endlich ausgehen können. In Slow Motion-Szenen führt uns Nina Kühner die streitlustigen Kinder samt despotischem Vater vor – als kurzer und witziger Kontrapunkt zur rasenden, vor Energie berstenden Struktur von Ayres‘ Komposition.
Die Jungs (und Mädels) aus Nimmerland
Mittig zwischen den Betten der drei Kinder ist nur ein Fenster, durch das Peter Pan und Tinkerbell hereinklettern, um die drei mit nach Nimmerland zu nehmen. Im Flug dorthin wird die Hinterbühne einsehbar: diverse Schlagwerker mit lustigen Hüten, schwarze Wände mit bunten Kinderskizzen von Wolken und Strichmännchen verziert. In Nimmerland warten die verlorenen Jungs, hier eine mit Mädels und Jungen besetzte Truppe aus Mitgliedern des Mainzer Domchors sowie des Mädchenchors am Dom und St. Quintin. Welch eine Ensembleenergie, welch ein Bühnenspaß kommt da zusammen, bis Peter Pan und seine Jungs (und Mädels) den fiesen Captain Hook besiegt haben, der mit Säbel und in filmreifem Piratenoutfit (Kostüme: Claudia Casera) auch mal durchs Publikum schreitet: „Leben ist auch Pflicht und Schmerz, ein jeder kenne seinen Platz!“ Doch diese Binsenweisheit der Erwachsenen will hier natürlich niemand hören…
Hermann Bäumer gelingt es, diese wild agierende Truppe aus Herrenchor, Soli und Kinderchor mit dem Philharmonischen Staatsorchester Mainz zusammenzuhalten, auch in den temporeichsten akrobatischen Nummern. Und die machen staunen, allen voran der Counter Yosemeh Adjei als Peter Pan: Wie er (an Seilen) durch den Bühnenhimmel fliegend Saltos schlägt und gleichzeitig die undankbarsten Koloraturen und Registerwechsel bewältigt, verdient höchsten Respekt. Auch Maren Schwier als Wendy ist eine große Entdeckung als Sängerdarstellerin mit spürbarem Faible fürs Zeitgenössische.
Wenn Musiktheater für ein junges Publikum auf so hohem musikalischem Niveau gelingt, derart fesselt und verzaubert, dann will man auch nicht erwachsen werden. Einhelliger Jubel.