Foto: Rinaldo in Nöten: Szene aus Tatjana Gürbacas Inszenierung in Mainz mit Jina Oh in der Titelpartie. © Paul Leclaire
Text:Detlef Brandenburg, am 1. November 2013
Das Tollste an dieser quirlig verpoppten „Rinaldo“-Inszenierung des Staatstheaters Mainz ist das Bühnenbild von Stefan Heyne: eine Art Welt-Theater-Show-Bühne mit einer Empore für das Orchester inmitten, einem per Projektion multifunktional bespielten Weltglobus darüber und kreisenden Planeten im Erdgeschoss, umrahmt von riesigen Zahnrädern. Man versteht sofort: die Bühne als Welt, die Welt als Himmelsmechanik und die Mechanik des Theaters als Thema der Bühne. Letzteres umschreibt ziemlich direkt das Konzept von Tatjana Gürbacas Regie. Hier geht es nicht um die Geschichte, sondern um nichts als Theater. Also nicht um Christentum und Islam, Kreuzritter und Heiden, wahren Glauben und zauberische Verblendung, sondern darum, wie man die Mechanik des Theaters am besten ausstellt. Und zwar des komischen Theaters: seine Techniken der Überzeichnung, des Slapsticks, der Karikatur, des Tempowechsels, Rennens, Verzögerns, Haspelns, Gestikulierens… Und das macht den Beteiligten offenbar so viel Spaß, dass sie darüber die Welt glatt vergessen haben. Stefan Heynes Planeten kreisen ziemlich einsam und vergessen durch all den Trubel.
Dass Silke Willrett dazu den passenden postmodernen Kostüm-Mix aus Alltagszivil, Historienzitat und Fundus-Pop zusammengesucht hat, versteht sich. Es versteht sich überhaupt manches an diesem Abend. Das liegt daran, dass dessen Humor- und Parodie-Inventar selten jenes Repertoire verlässt, das das postmoderne Poptheater schon vor Jahrzehnten geschaffen hat (zuletzt besonders prominent in der Ära von Sir Peter Jonas an der Bayerischen Staatsoper, wobei dort David Alden allerdings die weltlichen Bezüge dieses Kreuzfahrermärchens durchaus sehr genau in den Regie-Blick genommen hatte). Mit anderen Worten: Tatjana Gürbacas Humor in dieser Inszenierung ist nett, aber belanglos. Aber man muss den gegebenen Rahmen bedenken: Dass die Mainzer Operndirektorin, die die Kollegen der Opernwelt gerade verdientermaßen zur Regisseurin des Jahres ausgerufen haben, diese Produktion im Großen Haus mit Gesangsstudenten des Jungen Ensembles des Staatstheaters Mainz in Kooperation mit der Mainzer Musikhochschule erarbeitet hat, ist ebenso ambitioniert wie sympathisch. Und es haben ja auch wirklich alle, die im Zuschauerraum ebenso wie die auf der Bühne, so unverkennbar Vergnügen an der parodistischen Sache, dass man als Kritiker gar nicht weiter stören möchte.
In Bezug auf die Musik ist das auch gar nicht nötig. Was Orchester und Sänger unter der zwar keineswegs „historischen“, aber durchaus stilbewusst inspirierten Leitung des Mainzer Generalmusikdirektors Hermann Bäumer leisten, ist beachtlich. Bäumer und das Regieteam haben sich die überbordende Erstfassung von Händels Oper geschickt für ihre Zwecke zurechtarrangiert, das Staatsorchester und seine bemerkenswert spielfreudigen Solisten sind so subtil wie vital bei der Sache. Und die Stimmen sind „jung“ im besten Sinne: unverbraucht, impulsiv, dabei aber sehr kultiviert. Saem You bleibt als lyrisch einfühlsame Almirena im Ohr, Radoslava Vorgic als Zauberin Armida mit beachtlichem Forte-Strahl, und das charaktervoll herbe Timbre der Koloratursopranistin Jina Oh passt recht gut zur Soprankastraten-Partie des Rinaldo. Als Gast im Ensemble singt Michael Taylor den Kreuzfahrer-Führer Goffredo mit schlankem, edel timbriertem Countertenor.
Das vielleicht schönste Bild des Abends übrigens gelang beim Schlussapplaus: Da drängten sie sich beim Rückzug von der Rampe allesamt auf der viel zu kleinen Couch kuschelig aneinander, mit der Regisseurin als Mutter des jungen Ensembles inmitten, und alle waren selig, alles war gut.