Foto: Der Kronleuchter als Symbol der Macht: Lawrence Zazzo als Farnace in David Böschs Inszenierung von Mozarts „Mitridate, rè di Ponto“. © Wilfried Hösl
Text:Klaus Kalchschmidt, am 22. Juli 2011
Anfangs war da eine fast kindliche Heiterkeit. Doch dann wurde die letzte Premiere der diesjährigen Münchner Opernfestspiele, der „Mitridate“ des erst 14-jährigen Mozart von 1770, immer mehr zum schockierenden musiktheatralen Ereignis. Ein Ereignis in starken Bildern: Da war ein magisch leuchtender, bewegter Comicstrip aus naiven Gesichtern und Strichmännchen in 3D auf einem Bühnenrund aus zwei verschmolzenen Halfpipes wie für Skater; dann die zunehmende poetische Verdüsterung, immer mehr Waffen, immer mehr Blut; und am Ende ein Vater, der sich selbst tötet, um nicht dem Feind in die Hände zu fallen – aber auch, um den Weg frei zu machen für seine Söhne. Schließlich schreit ein leuchtend blutrotes BEREUEN dem Publikum in die Augen, und Farnace, der ältere, aggressivere der beiden Söhne blendet sich selbst, um zu zeigen, dass er es ernst meint. Da tritt der Vater auf, ebenfalls blutüberströmt, und singt seine letzten, verzeihenden Worte, bevor ihn Farnace in den schlichten Holzsarg gleiten lässt, den Mitridate zu Beginn des dritten Akts selbst gezimmert hatte, um Rache an seiner Braut und den vermeintlich untreuen Söhnen zu üben.
Mit diesem Spannungsbogen wurden der Regisseur David Bösch und sein Team (Bühne und Projektionen: Patrick Bannwart, Kostüme und Projektionen: Falko Herold) ganz der erstaunlich expressiven, langsamen Musik eines kaum der Pubertät entwachsenen Knaben gerecht. Zwar überschreitet Mozart hier nie die Grenzen der zeitgenössischen Opera Seria, aber wie er diese ausreizt, ist doch erstaunlich. Und da Dirigent Ivor Bolton mit einem exzellenten Sängerensemble und dem Bayerischen Staatsorchester das Letzte aus der Partitur herausholt, ist man am Ende tief bewegt: Bolton nimmt am Pult des Staatsorchesters die Musik des jungen Mozart in jedem Takt ernst, lässt sie spielen, als wäre „Mitridate“ ein reifes Meisterwerk, mit Dringlichkeit, ungemeiner Emphase, aber auch mit Tiefgang.
Patricia Petibon wächst als Aspasia, um die Söhne wie Vater werben, über sich hinaus; sie wird vom stimmlich etwas zerfasernden Zwitschervogel zur grandiosen, glutvollen Tragödin; Countertenor Lawrence Zazzo als der hyperaktive, mit seiner virilen Energie kein Ziel findende Farnace ist eine famose, vokal und körperlich tickende Zeitbombe. Zazzo verfällt daher vom schneidenden Diskant und der kernigen Mittellage immer wieder in den Bruston des Baritons. Ihm steht der sanfte, milde Bruder Sifare in Gestalt der glühenden, irgendwann aber auch an die stimmlichen Grenzen kommenden Mezzosopranistin Anna Bonitatibus gegenüber. Auch Lisette Oropesa als Ismene, die Farnace versprochen ist und immer wieder im Stück zu vermitteln sucht, bietet eine grandiose Leistung. Und selbst eine Nebenrolle wie der Römer Marzio ist bei Alexey Kudrya enorm präsent. Die Titelpartie wurde mit Barry Banks ideal besetzt: So viel tenorale Attacke, soviel Spielfreude – singend Liegestütze absolvierend oder virtuose Messerspiele! – macht ihm so schnell keiner nach.