Foto: Szene aus Helen Malkowskys "Mazeppa"-Inszenierung. © Matthias Stutte
Text:Andreas Falentin, am 24. September 2012
Der in Thematik und Handlungsführung singuläre, in der Bauform, vor allem in der Formung der Charaktere an den mittleren Verdi angelehnte „Mazeppa“ erlebt zur Zeit eine kleine Renaissance an deutschen Bühnen. Nach erfolgreichen Aufführungen in Bremen und Aachen in der vorletzten Spielzeit nehmen sich in diesem Jahr mehrere Häuser das ungewöhnliche Stück vor, darunter die Komische Oper in Berlin.
In Krefeld beginnt Helen Malkowsky mit einem produktiven Trick. Schon während des Vorspiels sieht man den inhaftierten Kotschubej (Hayk Deinyan mit leidensfähigem, nie dröhnendem Bass) als Opfer seiner eigenen misslungenen Intrige. Der erste Akt wird gleichsam aus der Rückschau erzählt, verortet in einem bürgerlichen Partysaal mit historisch angelehnten Kostümen: gediegene Oper als Salonstück. Die Farbe Orange bindet als Partydekoration, als Farbe von Mazeppas Kostüm und des Seidentuchs der ihm aufgrund des Altersunterschiedes vom Vater verweigerten Maria die Handlung unaufdringlich und deutlich zurück auf die Situation in der heutigen Ukraine, auf aktuelle Umbrüche und Umstürze. Doch obwohl die Personenführung, inklusive Chor, klar und sauber ausfällt, der Konflikt deutlich exponiert und die Titelfigur in ihrer Unbehaustheit und Fixierung auf die eigenen Ambitionen schlüssig gezeichnet wird – die Sache zieht sich.
Dafür wird es nach der ersten Pause schnell spannend. Malkowsky organisiert das Spiel jetzt auf einer Ebene leichter Stilisierung. Momente planen Realismus‘ fungieren als konterkarierende Unterströmung. Das Gefängnis, in dem Kotschubej schmachtet, gefoltert und schließlich hingerichtet wird, gerät in den atmosphärischen Bildern von Kathrin-Susann Brose zur szenischen Metapher. Die Figuren sind gefangen in ihren Ambitionen und Leidenschaften, werden Spielball der von ihnen ausgelösten Vorgänge, die sie nicht mehr beeinflussen können. Liebevoll und differenziert sind die Hauptfiguren gezeichnet. Dem Mazeppa gibt Johannes Schwärsky mit seinem nicht mal sonderlich farbenreichem Bariton überraschend viel Humanität mit. Maria durchlebt bei der mit lyrischer Emphase jugendfrisch klingenden Izabela Matula glaubhaft eine Metarmophose von der verliebten Ball-Elevin zur Spitzenpolitikergattin. In dem Moment, da sie Zeuge wird, wie ihr Mann ihren Vater hinrichten lässt, verliert sie nicht nur ihren Verstand, sondern auch ihr soziales Koordinatensystem, ihre Rolle. Die fantastisch disponierte Hinrichtungsszene auf dem Gefängnishof erinnert in szenischer Ausgestaltung und inhaltlicher Ausrichtung an das „Fidelio“ – Finale des ersten Aktes.
Der dritte Akt läuft als absurd anmutender Epilog ab. Bindungslose Einzelwesen schleichen durch die Dekorationsreste. Die morbid verlöschenden Lyrismen, die Carsten Süss dem unglücklich verliebten Andrej mitgibt, strukturieren eine Beckett-Trümmerlandschaft.
Am Pult der Niederrheinischen Sinfoniker gibt der neue GMD Mihkel Kütson seinen Einstand. Dirigent und Orchester haben sich spürbar bereits gefunden. Der Klang ist klar konturiert aber nie scharf. Kütson atmet mit seinen Musikern wie mit den Sängern und dem tollen Chor, ist erkennbar an dramatischen Vorgängen interessiert, stützt diese bewusst und macht darüber hinaus Strukturen sinnlich erfahrbar. Man hört etwa, wie alle dramatischen Impulse zunächst von den tiefen Streichern ausgelöst werden. Im Moment der Katastrophe „übernehmen“ dann die Violinen, konterkariert von den, oft solistisch eingesetzten, Holzbläsern.
Sollte es auf dem Niveau weiter gehen, stehen dem Musiktheaterpublikum in Krefeld und Mönchengladbach spannende Zeiten bevor.