Foto: Bräute außer sich: Die Berlin-Dortmunder Doppelhochzeit in "Die Parallelwelt" © Birgit Hupfeld
Text:Detlev Baur, am 16. September 2018
Der Aufwand ist enorm. Für die Simultanaufführung „Die Parallelwelt“ am Berliner Ensemble und am Schauspiel Dortmund spielen an beiden Theatern zeitgleich sieben Darstellerinnen und Darsteller; Regisseur Kay Voges und sein Team waren in der Probenzeit ständig in Bewegung zwischen beiden Städten. Und tatsächlich funktioniert die Technik fast einwandfrei. Per Videoliveschaltung sind beide Theater zusammengespannt; das beginnt beim Publikum, das vor Beginn auf der Leinwand über der Bühne das Parkett des anderen Theaters sieht, und setzt sich in den folgenden zwei Stunden fort, wenn entweder ein vorproduziertes Bild (vermutlich synchron in beiden Theatern) zu sehen ist oder auf vier Quadraten Berliner und Dortmunder Live-Bilder Szenen miteinander verbunden beziehungsweise gegeneinander gestellt werden. Zum Teil – und das sind fraglos die lebendigsten Augenblicke – öffnen sich die beiden unteren Quadrate und (live gefilmte) Theaterszenen spielen sich gemeinsam mit (oben eingespielten) Parallelszenen aus dem jeweils anderen Bühnenhaus ab.
Die Konstellation der digitalen Konferenzaufführung ist ziemlich sensationell. Und sie bietet zahllose thematische Anknüpfungspunkte, die im Stück von Alexander Kerlin, Eva Verena Müller und Kay Voges, weidlich angespielt und assoziationsreich weitergesponnen werden. Eine lineare Geschichte entsteht dabei mit voller Absicht nicht. Zu Beginn stirbt in Dortmund Uwe Schmieder, während unter ähnlichen Geräuschen Stephanie Eidt in Berlin ein Kind zur Welt bringt. Es geht in dieser Geschichte, die keine sein will, also um das ganze Leben und mehr. In berückenden Filmszenen – deutlich taucht immer wieder eine DVD von David Lynchs „Lost Highway“ auf (Bildregie und Lichtdesign: Voxi Bärenklau, Bühne: Daniel Roskamp, Kostüme: Mona Ulrich) – werden weitere Szenen aus zwei kryptisch bleibenden Leben gespielt: ein alter Mann und ein Junge kommunizieren über die Jalousien miteinander, bis schließlich am Ende, der Dortmunder Greis neu geboren wird und in Berlin ein Mensch stirbt.
Dass die eine Geschichte rückwärts läuft und es um ein und dasselbe Leben gehen könnte, wird sich nicht jedem Zuschauer erschlossen haben, spielt vielleicht auch nicht die entscheidende Rolle. Problematischer ist, dass die von filmischen Stimmen oder pathetischen antiken Philosophen geäußerten Weisheiten über die Relativität des Lebens arg pathetisch bis platt vereinfachend daherkommen. „Die Parallelwelt“ rettet sich allerdings auch in witzige Szenen, die das arg ambitionierte Konzept mit Leben, Theaterleben anfüllen.
Der Höhepunkt der Inszenierung ist die zentrale Szene, wenn hier wie dort der Hochzeitstag durch die auf dem Fernsehbildschirm der Partylocation zu sehende Parallelhochzeit am anderen Ort gesprengt wird. Während in Dortmund Bettina Lieder eher resigniert auf die Erkenntnis reagiert, dass sie so einzigartig nicht ist, spielt sich in Berlin Annika Meier in einen Furor, der auch in Dortmund noch bestens ankommt, ja zu Szenenapplaus führt. Hier können sich die Schauspieler, auch da sie hier ins Publikum hinein agieren können, intensiv in die installative Inszenierung einbringen. Die Doppelhochzeit bietet die Grundlage für nackten Theaterwahnsinn und verbindet das artifizielle Geschehen mit der Existenz der Darsteller. In der Folgeszene räsonieren Andreas Beck (Dortmund) und Oliver Kraushaar über das Aussteigen aus der eigenen „Vorstellung“ (im Hirn wie im Theater) und über die Qualität der lokalen Currywurst.
Mit Witz unterhält das komplexe Spiel und führt – natürlich in Dortmund- zu Standing Ovations. Assoziative Themen zwischen dem Menschen als Wurst und „panta rhei“, horrende Filmbilder, routiniert eingestreute Sounds und Bildanspielungen regen die Synapsen des parallelisierten Publikums an. Dennoch bleibt auch ein Gefühl der Leere: die Simultanaufführung kratzt vieles an, bleibt damit an der Oberfläche und lässt ein Gefühl der Sehnsucht nach realen Schauspielern zurück. Was das Zusammenspiel der beiden Theater anlangt, hat das Projekt dennoch Staunenswertes erreicht.
Um diesen ersten und einseitigen Blick zu überprüfen, folgt im November-Heft der DEUTSCHEN BÜHNE eine Kritik im Dialog mit meiner Berliner Kollegin Barbara Behrendt zu „Die Parallelwelt“.