Foto: Szene mit Oleh Stefan © Gianmarco Bresadola
Text:Detlev Baur, am 11. September 2022
„Theater? Über die Zeit des Krieges?“, fragt Holger Bülow in seinem Monolog, in dem er sich und seine Rolle in dem Projekt vorstellt. Zusammen mit den beiden ukrainischen Kollegen Oleh Stefan und Dmyto Oliinyk, inszeniert vom Kyiwer Regisseur Stas Zhyrkov, befragt und spielt Bülow nicht nur seine Rolle des deutschen Außenseiters, sondern übernimmt am Ende auch die Figur des Dramaturgen Pavlo Arie, der in seinen Tagebüchern der ersten Kriegstage seine Angst und sein persönliches Ungenügen in jeglicher Heldenrolle beschreibt.
Schauspieler als Soldaten
Doch zunächst wertet das Trio auf der intimen Bühne des Globe in der Berliner Schaubühne Videokontakte mit vier Schauspielern aus, die nach Kriegsbeginn im Februar ihre Rolle gewechselt haben und nun gegen die russischen Truppen in der Ukraine kämpfen. Auf Jan Pappelbaums Bühne dominieren orangene (die Farbe der letztlich gegen die russische Dominanz gerichteten Revolution von 2004) Filmrollen den breiten Tisch im Hintergrund. Auf einer Leinwand werden Gesprächsbilder mit den zu Soldaten gewordenen Schauspielern gezeigt, zum Abschluss jeder kleinen Metamorphose zum Kämpfer Fotos und kurze Szenenvideos ihrer vorangegangenen Rolle(n) am Theater, teils zusammen mit Stefan und Oliinyk auf einer Bühne in Kyiw.
Nun riskieren die Kollegen also ihr Leben, während die beiden anderen weiter Theater machen. Diese Kluft, das schlechte Gewissen der nun sogar in Deutschland Spielenden sind ein Dauerthema im Hintergrund von „Sich waffnend gegen eine See von Plagen“. Dieses Zitat aus Hamlets zentralem Sein-oder-nicht-Sein-Monolog verweist auch darauf, dass die Situation ukrainischer Theatermacher derzeit eine Hamlet-ähnliche, ohnmächtige ist. Wie kann die Kunst, das eigene, militärisch gesehen irrelevante Tun Sinn und Würde behalten? „Es ist eben nicht Shakespeare“ umschreibt Holger Bülow zu Beginn die Inszenierung. Und doch umspielen die Drei ähnliche Dramen, die allerdings aus der aktuellen Situation herrühren und nicht vom großen englischen Dramatiker; sie feiern das Leben und verdeutlichen gerade dem deutschen Publikum die präsente Nähe des Todes – einer der in Bild und Spiel gezeigten Kollegen ist seit zwei Monaten vermisst.
Dokumentation, Performance, Rollenspiel
Die immer beklemmendere Inszenierung startet performativ mit der Biographie der Spieler – auch der historischen Zerrissenheit eines Landes, das einst Teil des großen Sowjetstaats war und nicht nur sprachlich lange von Russland dominiert wurde. Doch sie beleuchtet zunehmend mit den Mitteln des Theaters im Rollenspiel die Scheußlichkeit des Krieges; zugleich forscht sie theatral nach Wegen, damit umzugehen, als Theatermensch und als mitfühlendes Wesen. Nicht von ungefähr suchen gerade die beiden ukrainischen Schauspieler immer wieder den Kontakt mit dem Publikum.
„Du erzählst, als ob du tatsächlich dort gewesen bist“, sagt der in seiner Verbindung aus Energie und Zerbrechlichkeit überragende Oleh Stefan zu Holger Bülow in einer Mischung aus Bewunderung und Tadel, wenn der von Pavlo Aries Ängsten und gefühltem Ungenügen berichtet und dabei auch die komischen Seiten des Tagebuchtextes zum Ausdruck bringt. Am Ende stellen sich die Drei in den engen Schrank des Tagebuchautors, als sei er ein Sarg, sprechen zu ihren im Licht tanzenden Händen kleine, persönliche Nachrufe auf verstorbene Soldaten, auf sich selbst? Dieses starke, binationale Mini-Ensemble hat sich hier auch bildhaft in einem schaurig-schönen Bild zusammengefunden, hat aus dokumentarischem Material eine zwischen allen politischen und emotionalen Fallstricken fein austarierte künstlerische Aufarbeitung entwickelt und dabei die Grenzen und die Kraft von gemeinsamem, künstlerischem Spiel gezeigt – als bewegendes Theaterereignis.
Die Inszenierung ist durch das Programm U*Act gefördert