Überhaupt sind Schnitzlers Dialoge mit ihrem Biss, ihrer messerscharfen Präzision, der feinhumorigen Bösartigkeit ein grandioser Genuss: Jedem Small Talk wohnt ein Argwohn inne, jedem Liebreiz ein Verdacht. Das ist womöglich auch die Erklärung dafür, dass die Regisseurin und Festival-Intendantin Barbara Frey (die mit dieser Inszenierung die dreijährige Kooperation mit dem Burgtheater-Ensemble fortsetzt) die inszenatorischen Mittel relativ sparsam dosiert. Ihre Interpretation baut im Wesentlichen auf die Qualität des Textes und der Spieler:innen, auf einer ausgefeilten Figurenführung und einem beeindruckenden Gespür für das nötige Tempo. Wort und Personal hat sie, abgesehen vom dritten Akt, kaum gekürzt, legt den Fokus auf das Verhältnis des Einzelnen zur Gesellschaft. Einzeln, das sind sie eigentlich alle: So groß, wie der Abstand der drei üppigen Chesterfield-Sessel auf schwarzem Schotter in der Bochumer Jahrhunderthalle (Bühne: Martin Zehetgruber, Mitarbeit: Stefanie Wagner), so breit sind auch die zwischenmenschlichen Schluchten. Nähe oder gar Umarmung sind in Freys Inszenierung die Ausnahme, kaum je platzen lauthalse Gefühlsregungen aus den äußerlich unbewegten Figuren in ihren ordentlichen Anzügen und Kleidchen (Kostümbild: Esther Geremus). Hinter einem durchscheinenden schwarzen Vorhang, der über die ganze Breite der Bühne reicht, spielt das äußere Leben. Hier läuft die Gesellschaft zu schneller, monotoner und plötzlich abreißender Melodie (Musik: Josh Sneesby, Sound Design: Thomas Wegner) hin und wieder stumm vorüber, dann wieder lauscht auch jemand, platzt herein. Erst im letzten Akt, nach dem Duell, wird dieser Vorhang fallen. Wie Friedrich den Rivalen tötet, spart schon Schnitzler erzählerisch aus, und auch hier reicht dieser optische Coup als Symbol für das Ende aller Zivilisiertheit. Im Hintergrund erscheint die großformatige Fototapete mit der Bergwand, daneben ein riesiges Maschinenrad; ein Tunnelbohrer, der sich durch den Fels fräst. Die Natur und die Zerstörung, sie gehören zusammen – die Sinnbildlichkeit ist eine große Stärke der Inszenierung.
Schauspielerische Brillanz
Große Texte brauchen natürlich auch große Spieler, und die hat Barbara Frey hier eindeutig gefunden – was in erheblichem Maße dazu beiträgt, dass die Spannung trotz der relativen Schlichtheit der Mittel über zweieinhalb Stunden nicht abreißt. Die zahllosen Facetten, die Michael Maertens dem Hofreiter-Friedrich als zentrale Verkörperung des morallosen Gewalttäters verleiht, sind brillant: Liebenswürdig ist er und gemein, eitel und verletzlich, gierig und abgeklärt. Er löchert seine Frau mit maschinengewehrhaften Fragen, der Antrag an Erna ähnelt eher einer diktatorischen Anweisung als einem Liebesgeständnis (und wird, da wird Schnitzler wieder komisch, von Erna trotzdem abgelehnt). Sein Spiel ist herausragend, und auch, wie Katharina Lorenz Genia verkörpert – depressiv und abwesend, beherrscht und innerlich erloschen – ist großartig. Nina Siewerts Erna ist vor allem das, was sie auch bei Schnitzler ist (nämlich: entschlossen), was sie konsequent, wenn auch nicht sehr abwechslungsreich ausspielt. Die Besetzung der Nebenrollen ist dicht und überzeugend: Felix Kammerer zeigt den Otto als ängstlichen Verlierer, Bibiana Beglau eine zugewandte Frau Meinhold einerseits und einen schmierig-überlegenen Hoteldirektor Aigner andererseits, Itay Tiran ist der ausgenutzte Freund Mauer – einer, an dessen Schultern man sich ausweint. Sabine Haupt ist als Ex-Geliebte genauso abgekühlt wie ihr hintergangener Mann (Branko Samarowski), und Dorothee Hartinger als Ernas Mutter eigentlich die Personifizierung der vermeintlich feinen Gesellschaft in diesem Stück: vordergründig heiter, hinten heraus aggressiv. Zusammen ist man hier nicht weniger allein.