Foto: Kooperation der Oberschule Leibnizplatz und der Bremer Shakespeare Company © Mariann Menke
Text:Jens Fischer, am 31. Mai 2013
„Moin, ich bin Parzival“, sagt der junge Mann, der von Freunden auch „Parsi“, von der Mutter „Schnuckemuckel“ genannt und wie ein Landei gemobbt wird. Eigentlich gibt der Typ dieses Namens den tumben Toren in einem 800 Jahre alten Ritter-, Liebes-, Entwicklungs-, Gottsucher-Epos, das ein gewisser Wolfram von Eschenbach vor 800 Jahren in 25.000 Versen niederschrieb. Jetzt lebt er auf der Bühne des Bremer Theaters am Leibnizplatz an einem Fluss darstellenden Flokatiteppich, in einem auf Betttuch gemalten Wald.
Sein Vater ist als „Berufssoldat“ (Ritter) ständig auf Dienstreise, die alleinerziehende Mutter versteckt ihren Sohnemann vor der bösen Welt. Aber mit jugendlicher Lebenslust und Neugier befreit Parzival sich von Mamas Kontrollwahn, stolpert gierigen Herzens aus dem Naturidyll, sucht für seine unbestimmte Sehnsucht ein Objekt – und findet Männer in glitzernder Rüstung. Mit solch maßgeschneidert coolen Klamotten will er nun auch Ritter (erwachsen) werden und Abenteuer (Party!) erleben. Leitmotivisch warnend tiriliert es dem pubertierenden Jedermann entgegen: „Was willst du aus deinem Leben machen?“ Erst mal lernen, was Gut und Böse, Tod und Liebe, Mitleid und Gott ist. Die Gralsburg ruft zur Reifeprüfung, um aus dem unwissend egoistischen, heilig naiven Raufbold einen reifen Helden zu formen, der ritterlich das Echo seiner Taten aushalten kann und dafür einsteht. Die ehemalige Aula der Oberschule Leibnizplatz, die seit 20 Jahren von der Bremer Shakespeare Company (BSC) als Bühne genutzt wird, ist Ereignisort dieses Pilotprojektes der „Theater Schule Campus“-Kooperation. Die Theater AGs der Sekundarstufe 1 und die Grundkurse Darstellendes Spiel der Sekundarstufe II haben mit der BSC ein Schuljahr lang an „Parzival“ gearbeitet. Und die Stockkampf AG dazugebeten, so dass nun alle Ritterzwiste mit gewirbelt aufeinanderkrachenden Holzstäben ausgetragen werden. Fast 50 Mitwirkende sind auf der Bühne. In Kleingruppen haben sie Szenen erarbeitet und die Materialsammlung dann zur Premiere zusammengepuzzelt, wobei zu viele Themen angerissen, etwas zu wenig auf Handlungsentwicklung geachtet und alles mit zweieinhalb Stunden deutlich zu lang wurde. Beeindruckend allerdings die Präsentation moderner Theaterspielweisen. Szenen werden gleichzeitig in verschiedenen Versionen dargeboten, alle Mitwirkende sind mal Parzifal, spielen aber auch Waldgetier, gruppieren sich zu Statistengewusel, agieren als Geräuschemacher und Sänger. Jungs wie Mädchen erkunden Männerrollen. Und übersetzen den Stoff in ihr Leben.
Parsifal könnte auch ein Scheidungskind sein, dessen Mutter dem Vater das Umgangsrecht verweigert und schlecht über ihn redet. Also schreibt der Sohn einen Brief und rezitiert ihn an der Rampe: „Lieber Papa, es gibt Tage, da ich mehr von dir erfahren möchte. Wo bist du? Sind wir uns ähnlich? Denkst du mal an mich? Wieso bist du nicht bei mir? Liebst du mich nicht?“ Stromert Parzival dann los, trifft er auf eine arrogante Gesellschaft – im Fitnessstudio der Karrieristen, befeuert von Deichkinds „Bück dich hoch“-Hip-Hop. „Was bist du denn für’n Tarzan?“ „Das is’n Mogli!“ „Voll süß.“ So lauten die Urteile der selbstgerechten Schnösel über den Außenseiter. „Wo kommst du denn her?“, wird Parzival angeraunzt, als er statt Alkohol eine Rhabarberschorle zu trinken wünscht. Die Lust auf Alberei zieht mit den jungen AG-Schülern ein. Sir Ritter Rost nimmt dann Platz an Artus Tafelrunde. Und wenn ein Parsival-Darsteller in sich hineinhorcht, erzählt ihm die Stimme des Gewissens: „Ich muss kacken!“ Dann singt Balu der „Dschungelbuch“-Bär die Moral von der Geschicht’: „Probier’s mal mit Gemütlichkeit“. Als Antwort auf die unentwegte Suche eines Menschen nach sich selbst und seinen Platz in der Welt ist das vielleicht ein bisschen wenig. Dafür hat die Aufführung massenhaft Theaterbegeisterung geweckt. Was die Schulbehörde bereits beeindruckte. Ab Herbst wird am Leibnizplatz erstmals ein Leistungskurs Darstellendes Spiel in der gymnasialen Oberstufe finanziert. Das nächste „Theater Schule Campus“-Projekt kann so noch intensiver erarbeitet werden.