Foto: Stefan Viering,Lisa Schlegel,Klaus Cofalka-Adami und Antonia Mohr in "Du musst dein Leben ändern" in Karlsruhe. © Jochen Klenk
Text:Elisabeth Maier, am 5. Oktober 2011
Philosophische Einsichten kramt der Berliner Regisseur und Performer Patrick Wengenroth aus Pappkartons, die auf der Bühne liegen. Mit der Collage „Du musst Dein Leben ändern“ nach Peter Sloterdijks gleichnamiger Studie eröffnete er das Schauspiel-Programm des Badischen Staatstheaters unter neuer Leitung des Generalintendanten Peter Spuhler. Im Konferenzraum der alten Oberpostdirektion gegenüber dem Theater vermitteln vier Schauspieler die Thesen des Karlsruher Philosophen wie in einer Show. Den Widerspruch löst das starke Ensemble, das sportlich zur Sache geht, auf. In Sloterdijks Plädoyer für den Menschen als „Lebensakrobaten“, der durch Üben den Sinn erkennt, findet das Ensemble reichlich Rollenfutter.
Dass die Regiearbeit, die in kaum 20 Probentagen entstanden ist, etwas Improvisiertes hat, ist gewollt. Jede Aufführung findet an einem anderen Spielort rund um das Theater statt. Der wird erst kurz vorher bekannt gegeben. Anfangs stehen die Schauspieler mit Textblättern im Raum. Sie rezitieren die Textcollage des Theaterdiscounter-Kopfes wie Referenten. Aus diesem Korsett befreien sie sich. Rainer Maria Rilkes Gedicht „Archaischer Torso Apollos“ hat Sloterdijk inspiriert. In Ulrike Gutbrods Bühnenraum, der von Zuschauertischen umschlossen ist, steht ein Ebenbild der Statue. Davor trainieren die Schauspieler ihr Leben im Angesicht der globalen Krise. Klaus Cofalka-Adami und Stefan Viering schlüpfen für bewegende Augenblicke in die Rolle des symbiotischen Paares Hamm und Clov aus Becketts „Endspiel“. Wenn sie das Publikum zur Achterbahnfahrt durch die Geschichte der Philosophie von Nietzsche bis Sloterdijk mitreißen, überzeugt das.
Ironische Versprecher sitzen: Wenn Viering die „Kohl-Ära“ als „Cholera“ tituliert und den „Fürsten des Stillstands“ preist, offenbart er die politische Aktualität des Denkers Sloterdijk. Dass der berühmte Karlsruher, den das Theater als Schirmherrn ausgewählt hat, kein Papiertiger ist, zeigt Cofalka-Adami im Interview mit der Puppe des Philosophen. Wunderbar balanciert der Schauspieler auf dem Grat zwischen Intellektualität und Komik. Durch ihr immenses Spektrum der Gefühlslagen besticht Lisa Schlegel. Einfühlsam begleitet vom Keyboarder Johannes Mittl (Musik: Matze Kloppe), macht sie mit ihrer bemerkenswerten Stimme aus Yvonne Catterfelds Popschnulze „Die Zeit ist reif“ ein Bekenntnis zum Wandel. Zynisch und klug plädiert sie für die „Frau am Herd“. Ironische Kommentare wie dieser sind eine Stärke der verblüffenden Collage Wengenroths. Wenn Antonia Mohr Bushido rappt und um Lebensträume ringt, geht das unter die Haut. Die ebenso überzeugende wie unterhaltsame Produktion beweist, dass Show-Mechanismen selbst die stillen Kammern der Philosophen erobert haben.